ein halbes Jahr mit dem wunderschönen Guylaine

Komfortabler sportlicher Tourer – Guylaine NVC1200

Es gibt sie noch: schöne Aufgabenstellungen: Guylaine NVC1200, so das kryptische Kürzel für die nächsten Wochen. Ein Stahlrahmen in edlem british racing green. Es scheint zu lächeln und tatsächlich bin es wohl eher ich, der lächelt. Dieses Reise-Rad wird mein „Arbeitsgerät“ sein. Wir haben das Guylaine ordentlich und intensiv herangenommen, eine Bikepacking Tour nach Prag unternommen und es auch im Alltag nicht verschont. Am Ende der wenigen Wochen stehen nun über 1000 intensive und – so viel sei vorweg verraten – wunderbare und sorgenfreie Testkilometer auf dem Tacho. Lesen Sie selbst.

Es gibt ja bekanntermaßen keine zweite Chance für den ersten Eindruck. Kaum dem Karton entnommen, schon ist die Beziehung hergestellt. Das Finish, die schlanken Rohre, der dezente aber doch kompetent wirkende Auftritt: ein klein wenig könnte man sich schon verlieben in so ein Guylaine. Die verbauten Komponenten sind jene, die im Segment der hochwertigen Reiseräder Rang und Namen haben: Tubus Gepäckträger, SKS Schutzbleche, SON Nabendynamo, Busch&Müller Lichtanlage, Shimano Antrieb und Bremsen und auch der Flite Sattel sind Top Rodukte. Das ist ordentlich und hat sich auf zig tausenden Reisekilometern weltweit bewährt. Doch wie ist es in der Praxis, wie fährt sich ein Guylaine, welche Erfahrung macht man tatsächlich „on the road“ und „off the road“?

Aufsteigen, wohlfühlen. Die Geometrie scheint wie für mich gemacht. Die 62er Rahmenhöhe ist perfekt für meine 184cm Körpergröße und meine 90er Schrittlänge. Schon der erste Ritt mit einigen Höhenmetern offenbart: Kilometer wanted. Das Guylaine marschiert sehr willig und scheinbar mühelos nach vorn. Die Sitzposition ist ein ideales Mittelmaß aus Komfort und dennoch sportlicher Haltung. Auf all den Testkilometern, auch bei den ausgedehnten Tagestouren mit Gepäck mit weit mehr als hundert Kilometern, gab es nicht einen Moment lang ein unangenehmes Körpergefühl, weder Hände, noch Nacken, noch sonstige Kontaktpunkte. Es klettert willig und die 12,8 Kilo Gesamtgewicht (inkl. Pedale und 3 Flaschenhaltern) behindern weder den Anstieg geschweige denn auf langen Passagen.

Auch wenn Rainer Schefzyk nun kein ausgewiesener Scheibenbremsen Fan ist, eine (hydraulische) Felgenbremse arbeitet seiner Ansicht nach im Grunde nach auch mit einer „große Scheibe“, kam das Testrad mit der Shimano Ultegra Scheibenbremse. Die zwei 140er Scheiben vorne und hinten wirken optisch fast unterdimensioniert, in der Praxis gab es, auch mit voller Beladung (Zelt & Co. für mehrere Tage) keinen Grund zur Beanstandung. Der Shimano Antrieb, hier 2×11 in der edlen Ultegra Version (50/34), ist effektiv und erlaubt sowohl längere Kletterpartien als auch geschmeidiges Gleiten auf der Ebene. Auf schnellen Abfahrten ist das Guylaine sehr stabil.

Skeptisch war ich, was die Reifenwahl betrifft. Im Auslieferungszustand war das Guylaine mit den wenig profilierten Continental GP 4000 (28-622) auf den DT Swiss Felgen bestückt. Meine Reiseplanung offenbarte jedoch auch einen nicht unerheblichen Schotteranteil (neudeutsch Gravel). Aber auch hier: keine Probleme. Die Reifen haften bei schnellen Abfahrten sehr gut, verhalten sich auf ruppiger Piste klaglos und stecken so manchen groben Ritt locker weg. Nicht ein einziger Moment, der – bei welcher Fahrsituation auch immer – kritisch gewesen wäre, im Gegenteil gilt: wenn man nichts merkt, merkt man, dass alles richtig ist.

Richtig sind gut sind auch die Anbauteile. Die Tubus Gepäckträger, vorne und hinten, machen das Guylaine reisetauglich. Der Diamantrahmen nimmt eine große Rahmentasche gerne auf und die 3 Flaschenhalter sorgen dafür, dass der Fahrer auch bei großer Hitze über längere Distanz gut versorgt ist. Die Lichtanlage, in der Kombination SON Nabendynamo und B&M Licht überzeugte bei unseren Nachtfahrten. Homogene Ausleuchtung vorn und sehr gute Sichtbarkeit von hinten, trotz sehr kompakter Bauform.

Sucht man, bei all der Euphorie, nach Kritikpunkten, muss man schon etwas nachdenken und auch genauer hinsehen. Nach rund 1200 Kilometern, davon ein Großteil mit Pack- und Rahmentaschen, zeigte sich der Guylaine Aufkleber am Unterrohr doch in Mitleidenschaft gezogen. Ok, zugegeben, dass Klettband der Apidura Rahmentasche war als Fixierung unumgänglich, aber sollte das Logo nicht besser unter dem Klarlack liegen und widerstandsfähiger sein? Punkt zwei und drei, den man erwähnen könnte, gehört eher in die Kategorie „pimp my bike“. Einmal ist der klassische Rennlenker, ein 43cm breiter 3T, hinsichtlich Reiseergonomie vielleicht auch mit einem etwas breiterem „Fare“ (Abstand der unteren Lenkerenden zueinander) angenehmer, und last but not least würde ich dieses wirklich wertige Reise-Rad mit einem braunen Brooks Ledersattel und entsprechend dazu passenden Brooks Lenkerband ausstatten. Das british Green verlangt geradezu danach. Wem jetzt noch ein Schuss Luxus fehlt, der ordert die bewährte Rohloff Schaltung oder verbaut die hippe elektronische Shimano Di Schaltung.

Fazit: das Guylaine ist eine sehr ausgewogene Reisemaschine mit perfekter Geometrie, die einen sehr großen Fahrspaß vermittelt. Ausstattung und die Auswahl der Komponenten sind auf hohem Niveau angesiedelt. Optisch schlank und im Fahrbetrieb sehr agil gehört das NVC 1200 zu den Rädern, die man nur sehr ungern wieder in den Karton zurück legt.

Plus

  • Leicht & agil
  • Hochwertige Ausstattung
  • 3 Flaschenhalter
  • Reisegeometrie

Minus

  • Aufkleber löst sich
  • Disc mit 140mm

*** © Udo Kewitsch 16.08.18***