Pfingsttour – 5 Tage im Freien

Reisen in Pandemiezeiten erfordert eine gewisse Flexibilität. Wer weder maskiert im Flieger sitzen mag, noch Lust auf (Zwangs)Quarantäne oder ähnliche Restriktionen hat, der plant (im Moment) innerdeutsch. Die Wahl des Reisemittels ist bei mir keine schwere: wir nehmen das Reise Rad und planen einen sportlichen Rundkurs ab Haustür. Dumm in diesem Kontext war nur, dass die Reisewoche (für meinen Reisepartner) unverrückbar, die Wetteraussichten in diesem Zeitfenster allerdings äußerst bescheiden waren. Kurzum: die Kneipen und Hotels waren geschlossen, der Himmel hinsichtlich Regen aber potentiell offen. Die formalen Hürden für einen Aufenthalt unter einem Dach hoch, die Temperaturen im Freien eher niedrig. Läuft.

Das Mittel der Wahl: Rennstahl Pinion 853 im Bikepacking Setup

Tag 1 – Siegsdorf – Sachsenkamm

105km, 6:30h, 1125hm

Der Tagesschau zum Trotz ist es trocken, allerdings würde ich bei „warm“ nicht unterschreiben. Wir starten dennoch frohgemut und machen kurz vor Bad Feilnbach im Schutze einer alten Scheune Rast, um kurz darauf von einem Kollegen angesprochen zu werden. „Ja Udo, was machst Du denn hier?“ – die Welt ist ein Dorf. Stet tröpfelt es ein wenig, dennoch kommen wir zügig voran. Wir durchqueren ein menschenleeres Miesbach, und schinden uns gegen Ende der Tour ab der Mangfall mühsam einen letzten Buckel hinauf. Der drückt a bisserl auf das Powermeter und die Motivation – zumal der Wirt seine Pforten vor 1 Stunde unerbittlich geschlossen hat – kein Radler, nix. Es tröpfelt abermals und so langsam müssen wir ein Quartier suchen. Sachsenkamm ist der nächste Ort, der Kirchsee scheint verlockend, und der (ebenfalls geschlossene) Biergarten hält zumindest eine überaus nette Bedienung für uns parat, die sich gnädig zeigt und zwei Biere auftischt. Just in dem Moment jedoch öffnet Petrus seine Schleusen und wir sind gut beraten abermals nahe einer Scheune Schutz zu suchen und unser Zelt aufzustellen (der Wirt war so freundlich uns dieses Asyl zu gewähren – wer frägt, führt / alte Kaeser Regel). Gaskocher an, Wein entkorken, fertig. Was für ein toller Tag – kein Biergarten, eher grau wie blau, mehr feucht wie trocken und dennoch: die Stimmung ist gesund und munter. Ich teste heute meinen Therm-A-Rest-Quillt.

Sommerurlaub?

Tag 2 – Sachsenkamm – Schwaigsee

88km, 6:04h, 900hm

Breakfast time

Es regnet die ganze Nacht mehr oder minder vor sich hin. Na bravo. Geschlafen hab ich wie in Abrahams Schoß. Wunderherrlich. Der intelligenten Platzwahl sei Dank, nutzen wir den Dachvorsprung der Scheune und können so zumindest halbwegs geschützt frühstücken und einpacken (es gibt natürlich Cappuccino aus der Titan Bialetti und frisches Obst mit Müsli). Der heutige Streckenverlauf führt ins schöne Allgäu hinein und bleibt abseits der Hauptstraßen. Das historische Benediktbeuern ist allemal einen Stopp wert.

Das Anwesen ist ein imposanter Bau und der angrenzende gemütliche Biergarten ist zwar geöffnet, aber die Einlassprozedur schreckt uns ab – weiter im Text. Durchs Murnauer Moos kommen wir in die wunderschöne Region rund um Oberammergau und wählen abermals einen See als Zielort an – nachdem wir im Gemüse nicht wirklich fündig wurden, aber auch nicht mehr weiter vorwärts wollen. Der Schwaigsee ist als Naturschutzgebiet deklariert. Der Kioskbetreiber verneint unsere Anfrage nach Übernachtungsmöglichkeit, zwinkert uns aber zu, dass er – wenn sein Kiosk geschlossen ist – ja nicht mehr vor Ort ist und somit keinerlei Einfluss auf unsere Entscheidungen mehr hat. Der Vollmond am Himmel blickt in dieser Nacht gnädig auf uns herab. Erika, die heute ihren ersten Tag mit ihrem 25 (!) Kilo Rucksack für die nächsten Wochen zum Wandern und zu innerer Einkehr finden will, schlägt ihr bescheidenes Mini-Mini-Zelt neben uns auf – na, da bin ich mal gespannt, liebe Erika aus Köln. Wir verlassen den Platz sauberer als wir ihn vorgefunden haben. Ehrensache.

von hier oben war der Schwaigsee nicht zu sehen
Schwaigsee

Tag 3 – Schwaigsee – Gerold

90km, 5:50h, 1000hm

Lothar beginnt den Tag mit einem Bad im eiskalten See. Nein danke. Wir sind erst wenige Kilometer auf dem Track, da kommt schon ein Kirchenschiff daher: die Wieskirche. Die Wallfahrtskirche zum Gegeißelten Heiland auf der Wies, meist kurz Wieskirche genannt, ist eine bemerkenswert prächtig ausgestattete Wallfahrtskirche im zur Gemeinde Steingaden gehörenden Ortsteil Wies im sogenannten bayerischen „Pfaffenwinkel“.

immer weiter …

Die Kirche ist im Bistum Augsburg gelegen und das Kirchenschiff strotzt vor Überfluss. Zu alledem steht heute noch ein Märchenschloss auf dem Tourplan. Sollte jeder mal gesehen haben: Schloss Neuschwanstein vor den Toren Füssens. Die Parkplätze hier sind in einer „normalen“ Saison wahrscheinlich ausgebucht, die Busse wechseln normalerweise im Stundentakt. Nicht so in diesem Mai. Der Ort scheint verwaist, die wenigen Souvenir-Shops haben kaum Gäste. Vereinzelt spazieren ein paar Familien über das Gelände, von überquellendem Tourismus kann nicht die Rede sein. Deutschland im Dornröschenschlaf. Wir schießen ein paar Fotos, stolz in die Kamera grinsend, und passieren den romantisch gelegenen Alpsee, ohne auch nur ansatzweise darüber nachzudenken, irgendwo einzukehren, um kurz darauf unvermittelt „Ausland“ zu berühren.

Bergland in Sicht
Neuschwanstein

Vorbei am Plansee geht es durch die österreichischen Gemeinden Reutte wieder weiter bis ins deutsche Garmisch Partenkirchen, wo ein weiteres „Denkmal“ vor uns aufragt: die Zugspitze: Deutschlands höchster Berg, schlappe 2962m ü.M.. Wow. Hier herrscht etwas mehr Treiben und die Fußgängerzone ist voll, die Beschaffenheit der Teerdecke dem Reichtum der Gemeinde überhaupt nicht angemessen, die Außengastronomie nur spärlich in Betrieb. Wir ziehen daher weiter, müssen aber in Partenkirchen nochmal einen ordentlichen Knacker aufs Korn nehmen. Die Gsteigstrasse macht ihrem Namen alle Ehre. Lang und zäh führt sie geradeaus und nur hinauf, nicht flach. Miststück, das elende. Wir haben einen See auf der Karte entdeckt, die paar Kilometer schrappen wir jetzt auch noch runter und hoffen auf eine erfolgreiche Platzsuche. Soviel sei gesagt: der Traumplatz schlechthin: seht selbst:

Place to be

Tag 4 – Gerold – Fischbachau

96km, 5:55h, 1000hm

Traumplätze sind das eine. Traumwetter das andere. In diesem Fall haben wir den besten Platz ever und das im Dauerregen. Die Wetter-App meldet: das geht den ganzen Tag heut so. Hilft nix. Also packen wir alles aus, was die Taschen hergeben. Regenhose, Jacke, Mütze, Überschuhe, das ganze Programm. Diese Traumroute wird also im Regenschleier etwas „verwaschen“ werden. Allein die Passage ab Wallgau am wilden Isar Flussbett vorbei über Vorderiss bis zum Sylvenstein Stausee ist eine Natursensation. Traumhaft, eigentlich. Weiter geht es über den Achenpass bis nach Kreuth zum Tegernsee. Von dort „nur noch“ über das berühme Valepp zum Spitzingsee hinab zum Schliersee bis nach Fischbachau, wo wir uns über den nachlassenden Regen und den sich öffnenden Himmel freuen. Wir campieren am Rande eines Fußballplatzes auf feucht getränkter Wiese, nutzen aber die Trainerbank als komfortable Sitz/Tischkombi. Der einzige Unterstand des Tages war zweimal der Besuch eines Edekas.

Kondommodus

Tag 5 – Fischbachau – Siegsdorf

87km, 5:16h, 930hm

Ich wusste es: irgendwann kommt die Sonne durch. Blauweiß der Himmel, halbwegs kraftvoll die gelbe Kugel dort oben. Über Brannenburg, Nußdorf am Inn hinüber zum Samerberg geht es daher fast wie mit Rückenwind. Kurz darauf hat uns der heimische Landkreis wieder und wir nehmen die letzte Attraktion, den historischen Torfbahnhof in der Kendelfilzmühle und den Westerbuchberg bei Übersee noch mit, bevor wir am Tüttensee vorbei in den Heimathafen einradeln.

Fazit:

sieht man von (starkem) Wind und Regen ab, lässt man die Tatsache, dass im Grunde jede gemütliche Location geschlossen hatte (Stand Ende Mai) außer Acht, dann hat man eine absolute Traumtour, die sowohl landschaftlich als auch kulturell entlang des Weges einiges zu bieten hat. Fünf Tage am Stück im wahrsten Sinne des Wortes draußen zu verbringen, ist nicht nur gesund, sondern macht auch absolut Spaß. Wer mit Selbstversorgung kein Problem hat, kriegt das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Man lernt einmal mehr: man braucht nicht viel für einen tollen Urlaub in Pandemiezeiten. Mein Tipp: tun.

Ein Plan muss sein.

*** © Udo Kewitsch / Jun 2021 / Zeichen 8414***