Velospring – von der Vision zum gefederten Holzgriff – ein Portrait

Es war einmal ein Radfahrer, der fuhr mit seinem Wanderer Fahrrad zu einem Schreiner. Dieser wiederum war bekannt dafür, dass er wunderbare Dinge aus Holz zu zaubern vermochte. Ein guter Grund, ihm einen Wunsch anzutragen.

der richtige Griff

„Mach mir Griffe aus Holz“ sprach der Radfahrer. Und so setzte sich der Schreiner hin und dachte über eine gute Lösung nach.

Wie alles begann

Märchenstunde? Nein, liebe Leserin, lieber Leser, eine Geschichte ist es wohl, aber eine wahre und eine besondere. Wir haben die Werkstatt von Klaus Mildenberger besucht und wollten mehr erfahren über seine immer berühmter werdenden gefederten (!) Holzgriffe, besser bekannt unter dem Namen „Velospring“.

Es begann also tatsächlich an einem Nachmittag 2010, als der Mann mit seinem Wanderer Fahrrad an der Werkstatttür klopfte und seine Bitte vortrug. Die am Rad montierten Ergon Griffe waren klebrig geworden. Der Biker wollte etwas Besonderes, Einzigartiges. Ihm konnte freilich geholfen werden. Der Münchner Klaus Mildenberger begann in Handarbeit und mit erlesenem Nussbaumholz die ersten Holzgriffe zu fertigen, damals noch völlig ungefedert. „Schlappe“ 400 Euro sollte das Griffpaar kosten. Oh!

Die Aufgabenstellung klang vergleichsweise simpel, dennoch schien es Mildenberger damals unabdingbar, die Griffe demontierbar zu machen, um sie vor Witterungseinflüssen zu schützen. Es wurde probiert und getüftelt. Die Idee, das Prinzip eines Flaschenverschlusses mit sich spreizendem Gummi als Lager zu verwenden und einem Bajonettverschluss als Gegenstück war der Initialfunke für den gefederten Griff.

Der Mann hinter dem Griff

Hartes Holz meets weiche Feder

Genau dieses Prinzip des Flaschenverschlusses erwies sich als nachgiebig und ließ aus dem starren Holzgriff eine Komfortversion werden. Diese „Federung“ machte aus dem Einzelstück eine echte Idee.

Ein Wachstumsmarkt? Ein Geschäftsmodell? Visionen entstehen im Kopf, doch die Umsetzung erforderte harte und beharrliche Arbeit. Der Kunde erhielt nach ein paar Wochen seine bereits gefederten Griffe, war darüber sogar so zufrieden, dass gemeinsam überlegt wurde, eine Firma zu gründen und die Entwicklung weiter zu treiben. Der Zufall wollte, dass es sich um einen renommierten Patentanwalt handelte, der natürlich hinsichtlich Schutzrechten den Weg ebnen konnte. So nahm das Thema seinen Lauf. „Velospring“ war geboren. Die Federung ist heute patenrechtlich weltweit geschützt.

Die Zusammenarbeit mit Firmengründung wurde schließlich nicht realisiert und Klaus Mildenberger war nunmehr auf sich allein gestellt. Einmal mehr kam der Zufall zur Hilfe: In einer Anzeigekampagne der Financial Times wurde nach jungen Start Up Unternehmen gesucht –  zudem wurde ein dicker Förderungstopf ausgelobt. Voraussetzung hierfür: ein ausgefeilter Businessplan. Schreiner können gut in Holz, doch ein Businessplan lässt sich nicht so einfach hobeln.

Der sympathische Münchner war um eine Lösung nicht verlegen. Schrieb sich in der TU München zum Studiengang „Businessplan“ ein und hatte Glück. Seine Aufgabenstellung wurde als „Exempel“ im gesamten Semester diskutiert. Der junge Maschinenbaustudent Alex Moretti sollte in der Folge sein neuer Geschäftspartner werden. Das Ergebnis der neuen Kooperation beeindruckend: ein mit 1,7 bestens bewerteter und vollumfänglich ausgearbeiteter Plan. Die ausgelobte Förderung in Höhe von 50.000 Euro lag zum Greifen nah. Doch dann kam es erstens anders und zweitens als man hoffte. Die Financial Times ging pleite, der Wettbewerb wurde eingestampft, es gab als „Entschuldigung“ eine Dose Müsli von myMüsli, den Vorjahressiegern.

Nimm 2

Mildenberger hatte eine grandiose Idee, einen perfekten Businessplan, den festen Willen, dass Projekt vorwärts zu treiben, aber keine finanziellen Mittel. Hürden wurden genommen, die eigene Rente investiert, die Logistik ausgefeilt.

Der aufwändigste Entwicklungsschritt war die möglichst preisgünstige Entwicklung der Federhülsen, dieser verschlang fast ein Jahr an hartnäckigen Versuchen und intensiver Recherche. Es folgten unzählige Gespräche mit Fachleuten und viele schlaflose Nächte. Dadurch entwickelte Mildenberger im Laufe der Zeit zusätzlich zu seinem Holz-Fachwissen sehr viel Gespür für Federstahl, Gummi, Flugzeugaluminium, Kunststoff und Frästechniken.

Das Holz für die Griffe wird heute in Freiburg von einem Holzspezialisten handverlesen ausgesucht. Eine auf Möbelgriffe spezialisierte Firma fräst die Rohlinge. Die Lebenshilfe im oberbayrischen Bayrisch Gmain sorgt, ebenfalls auf einem sehr hohen handwerklichen Spezialisierungsgrad, für das finale Finish und perfekte Optik, bevor die Griffe von München aus den Weg zu den Kunden finden.

2014 schließlich dann der Markteintritt. Im gleichen Jahr gewann Velospring den Eurobike GreenAward und 2015 folgte eine Auslobung beim ISPO Brandnew Award. Auch die Händlerszene, organisiert im Verband VSF, wurde aufmerksam. Ein Test von ergonomischen Griffen 2016 sollte aufdecken: alles nur Show oder wirklich „handfeste“ Qualität und beste Performance?

Handfeste Qualität – der Test

Klaus Mildenberger war skeptisch. Wird der Test unerwartete Schwächen aufzeigen, geht das Projekt gar den Bach herunter, weil es in den Medien „zerrissen“ wird? Ein Anruf brachte die Wahrheit ins Ohr: „Velospring ist Testsieger, mach Dich auf viele Anfragen gefasst“ verriet der Redakteur.

Die Velospring Griffe schmeicheln der Hand. Sie sind griffwarm, wetterunempfindlich und – man glaubt es kaum – sie federn. Die Idee dahinter ist ebenso simpel wie effektiv. Eine Blattfeder (innen in Längsrichtung zum) im Lenker montiert, ermöglicht die dämpfende Wirkung. Nicht zu viel, aber eben auch nicht zu wenig. Die Optik ist, wenig verwunderlich, exklusiv und edel.

Velospring

Im Fahrbetrieb arbeiten die Griffpaare unauffällig und doch nachhaltig. Grobe Schläge werden gemildert, das Fahren im Wiegetritt bleibt dennoch rund und störungsfrei.

Hervorzuheben ist die handgelenksschonende Dämpfung und das ermüdungsfreie Fahren. Biker, denen schmerzfreies Fahrradfahren fast nicht mehr möglich war, berichten von der angenehmen Haptik. Ursache hierfür: die Kombination aus ergonomischer Griffoberfläche und wirksamer Feder.

Bekanntermaßen gilt: wo Licht da ist auch Schatten. Zugegeben, es gibt ein, zwei Dinge, die auf der Minus Seite stehen: 1) die Montage. Man benötigt kein Ingenieurstudium, aber eben mal auf den Lenker „schieben“ geht nicht. Die Führungshülsen müssen links und rechts montiert und ausgerichtet werden. Ein (19er) Maulschlüssel ist das Werkzeug der Wahl. Schließlich fixiert man die beiden Handschmeichler noch mit einem (25er) Torx. Fertig. 2) Liebhaber der (aus der Mode gekommenen) Hörnchen oder Barends müssen sich hiervon verabschieden. Ab sofort fährt man mit Velospring „Hörnerlos“.

Obwohl, da wäre noch ein dritter Punkt. Der Preis. Klaus Mildenberger hat aber auch hierauf eine gute und entwaffnende Antwort: „Gibt es etwas Besseres?“ kontert er prompt und selbstbewusst auf den Einwand, dass knapp 200 Euro für Lenkergriffe doch als hochpreisig gelten können. Mittlerweile haben gut 230 Händler das Produkt im Sortiment.

Die Federung und Ergonomie der Griffe können ebenso mit anderen Materialien (Kunststoff) zur Geltung kommen. Die Idee, der Plan, sich mit einem (Big) Player der Fahrradindustrie zusammenzutun, der in großem Maßstab (seine) Kunststoffgriffe mit dem „Velospring“ System vertreibt ist bereits kommuniziert – ob und wer diese Chance ergreift wird sich zeigen.

Seit Ende 2016 hat die E-Bike Firma Geero aus Österreich ihr Topmodell mit den Griffen ausgestattet zusätzlich sogar Spritzschützer aus demselben Holz.

Immer mehr Menschen suchen die Werkstatt im Zentrum Münchens auf, um sich selbst ein Paar Griffe auszusuchen und montieren zu lassen. Diesen Weg sowie die Kooperation mit einem Global Player wird Klaus Mildenberger in den nächsten Jahren zielstrebig verfolgen.

Die Moral von der Geschichte? Aus dem vermeintlich einfach klingenden Satz „mach mir Griffe aus Holz“ entstehen Innovationen und Produkte von besonderer Faszination. Kein Märchen, sondern „greifbare“ Realität. Toll.

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*** © Udo Kewitsch, Nov.17 / Zeichen 8134 / Zeilen 116 / ***