AlpX Zwo Null Null Sieben

Prolog

Nach dem Cross ist vor dem Cross. So kam es, wie es kommen musste. Die Planung für den Cross 2007 begann im Geiste schon, da war das Jahr 2006 noch nicht einmal beendet. Der Kopf hatte eine Vision, die durch die regelmäßige Lektüre der einschlägigen Bikemagazine und die wunderbaren Bike Bücher des Delius Klasing Verlages bestärkt wurden: Val di Uina ist ein „Must“. Wer „A“ sagt, der muss auch „B“ sagen, heißt im Bikerjargon: wer wirklich ein Alpencrosser ist, der wandelt auch auf den ursprünglichsten Pfaden. Diese wurden schnell gefunden. Hatte nicht Andi Heckmair Anfang der 90iger die Lawine losgetreten, als er über die schmale Leiter des Schrofenpasses mit seinem Bike kletterte ?

Was Heckmair vorlegte, wurde von Achim Zahn modifiziert und so war die Traumtour schnell zusammengestellt. Val di Uina inklusive. Mein Traumziel. Dieser Torte dann noch mit der Tremalzo-Sahne die Krone aufzusetzen, war in Anbetracht des Trainingszustandes, der berufs- und teilweise lustbedingt als relativ zu bezeichnen war, eher mutig als realistisch.

Die Val di Uina Vision, ergänzt um das Tremalzo Highlight wurde so zur Pflicht, der die beneidenswerte Kür folgen sollte, nämlich die von Fanfaren begleitete Einfahrt nach Riva über das Traumsträßchen abwärts von Pregasina zur Ponalestrasse.

Ponale

Was im Geiste immer mehr Gestalt annahm, in zahlreichen Träumen für Gänsehaut sorgte, sich im Routenplan mit dem Finger am Bildschirm manifesierte, sollte doch auch zu schaffen sein. Oder nicht ?

Februar 2007. Werner ruft an. Ganz unvermittelt stellt er die Frage „eh, was ist nun mit Alpencross?“. Wenn einer schon so fragt, dann muss man auch fahren, oder nicht?

Die Akteure

Wörnör – der Sportive Unbeirrbare                         

Werner gehört zur Gattung de Supermänner. Weiß viel, kann viel, macht viel. Wohlgemerkt: dies alles ohne ironischen Unterton. Hat sich nach jahrelangem Fallschirmformationsflug, anschließendem Buckelpistenskifahren, Trampolin-Figuren-Hüpfen, Eishockey, Inlineskaten, Angeln (Anm.: was ist langweiliger als Angeln ? Jemandem beim Angeln zusehen) und Jazz-Kapelle-spielen in die Niederungen des Bikesport hinab gelassen und macht dabei eine ebenso beneidenswert wie souveräne Figur.

Kennt das Wort Übergewicht ebenso wenig wie eine birnenförmige Figur, neigt von daher eher zum sportiven V und isst halt soviel er eben kann. Und können, haben wir gelernt, kann er viel. Werner ist vom Gemüt her ein ausgeglichener, man mag fast sagen, stoischer Typ. Egal ob es regnet oder schneit, das Launo-meter schlägt nicht aus, vielmehr wird am eingeschlagenen Kurs festgehalten, auch wenn es noch so schüttet und hagelt oder die Bremsen quietschen.

Geniest den Umgang mit der Technik jedweder Art und war somit der erste Alpencrossende Mensch, dem die Worte Statistik ebenso leicht über die Lippen gingen wie mir. Drückt mit Hingabe alle Knöpfe des Garmin GPS Gerätes und die seines HAC4 Computers, will aber gleichzeitig auch wissen, warum die Dinge so sind, wie sie eben sind („warum steht hier rechts, wenn im Roadbook links steht?“).

Bevorzugt den eher trockenen Witz, was manch einen in die Irre führe kann, beteiligt sich neuerdings nahezu leidenschaftlich am Berufsbild des bikenden Journalisten. Hat aufgrund seiner schweren Kindheit („ich hatte 5 Geschwister“) eine tendenziell gering ausgeprägte Veranlagung, Dinge, wie zum Beispiel die letzte Rüblitorte, zu teilen. Verschlingt diese dann aber unbeeindruckt mit voller Hingabe. Fällt manchmal im Stehen, aber so gut wie nie während der Fahrt, um. Versteht es nahezu spielerisch den Spagat zwischen „da müssen wir jetzt unbedingt noch hoch“ und dem „da trinken wir aber schon noch zwei Radler und einen Cappucino“ unter einen Hut, oder besser in einen ganzen Tag zu packen.

Werner beweist sich gerne etwas. Packt aus diesem Grunde seinen Rucksack mit vollster Überzeugung daher auch mit unnötigem Zierrat (Nagelschere, Ladegeräte aller Art, leere Wasserblase, Rasierzeug, Packbeutel A für trockene Sachen, Packbeutel B für nasse Sachen, Packbeutel C für Sachen die weder nass noch trocken sind) voll und begründet dies mit einem besseren Trainingseffekt. Fährt aus diesem Grunde auch gerne Dauerregenetappen nur um der sündteuren Gore-Tex-Paclight-Stretch-Überhose, deren Laden VK nicht einmal die Ehefrau kennt, eine Daseinsberechtigung zu geben.

Werner ärgert sich genauso selten, wie er sich euphorisch freut. Ausgeglichen halt. Trug mit seinem Gleichmut und seiner unbeirrbaren Entschlossenheit („das fahren wir jetzt, egal ob es hagelt oder nicht“) nicht unmaßgeblich zum Gelingen der wichtigsten Touretappen bei und hat sich somit seinen ersten ordentlichen Nord-Süd-Alp-X-Orden redlich verdient.

Prädikat: wertvoll, zuverlässig, eine Bank, fast zu ausdauernd.

Udo –  der Uuunglaubliche                         

Uunglaublich aber wahr! Udo hat viele Facetten, so viele, dass sie auf dieser Seite keinen Platz finden, deshalb greife ich hier die eindrucksvollsten und die der letzen 9 Tage auf, und es hat trotzdem nicht auf eine Seite gepasst.

Udo – Kommunikationsfreak, immer offen geht drauf zu und redet einfach drauflos, findet den richtigen Ton und kommt an. Udo – kennt Gott und die Welt, kaum ein Platz ist vor ihm sicher. Seine offene Art und sein Interesse an Allem haben ihm schon den Staub von Alaska bis zum Himalaja unter die Stollen gebracht. Er fällt nicht mit der Tür ins Haus, sondern mit dem Bike in die Alm, sogar in die Obere Stilfser Alm.

Udo – Bikes & Parts. Ich kenne keinen weiteren Biker, der einer entgegenkommen Bikerin einen netten Spruch entgegen wirft, das Wer, Woher, Wohin, Warum herausbekommt, und mir anschließend erklärt, dass ihr Bike Typ A von Firma B mit Komponenten C, D,…X, Y mit dem Baujahr Z aber einen Lenkervorbau der Firma (was kommt nach Z?) hatte.

Udo der wandelnde Teilekatalog, woher er das nur hat? -. Naja, so haben wir uns kennengelernt, und DEN Katalog hat er von mir, rein beruflich gesehen. Zusammen haben wir ihn fertig entwickelt, aber das ist eine andere, ältere und weniger sportliche Geschichte. Udo – Buy & Sell. Es gibt wohl kaum etwas, das nicht schon mal bei Udo war, und -haste-nich-gesehen – ist es auch schon wieder verkauft. ebay macht’s möglich, da wird nix alt. Hat fast alle Formen von Centurion-Bikes, die er nicht verkauft: Hard-Hard, Hard-Tail, Fully, Freeride-Numinis, Rennrad, Trecking-Rad und hat sogar schon mal über ein „Liegerad“ nachgedacht – hat vor der Trans-Alp die Qual der Wahl und nimmt dann doch nur eins mit.

Udo – der Organisator, teils chaotisch aber das Ergebnis stimmt. So waren wir von Anfang bis Ende gut versorgt, egal ob durch Informationen, gesponserte Centurion-Teamwear, Karten von Kompass bis hin zum Active2-Cap von Adelholzner. Er hat die Kontakte und er macht’s möglich.

Udo – der Feilscher, zahlt nie den vollen Preis – egal wo. Das hat fast immer funktioniert, uns Luft in der Urlaubskasse verschafft und mindestens die Nobel-Residenz in Bormio und ein paar Weißbier extra ermöglicht.

Udo der Journalist. Udo hat seine ganz eigene Art zu schreiben, wer ab und zu bei centurion.de/bikes/spirit vorbeischaut, weiß, was ich meine. Und da er alle, egal ob Centurion-Web, Traunsteiner Rundschau oder andere Blätter nebenbei versorgt, muss er wohl ein hyperaktives Multitalent sein.

Udo – hat mit seinen Talenten viel erreicht und will noch einiges mehr, besonders sehen und erleben, was man nicht kaufen kann: Eindrücke aus Ländern und Kulturen und uunglaubliche Momente.

Udo – Geradeaus: Udo hat kaum aktive Filter, die irgendetwas zurückhalten. Ist ein Gefühl da, kommt es auch schon raus – in Echtzeit. Gefühlsausbrüche eingeschlossen. Wie das ankommt, „is mir doch egal“ – der Moment zählt (Wir Leben). Jeder Topf braucht nen Deckel und bei Udo jede Etappe ein Motto, einen Spruch, eine Erkenntnis oder irgendsowas. Das Motto ist ganz einfach und entsteht am Ende des Tages von selbst aus dem Eindrucksvollsten. So entstand auch die Ganzkurzcharakterisierung unserer Tour aus „Wir leben! Udo riecht nicht mehr, Werner schnarcht ausdauernd, Uunglaublich!, Wo ist die verdammte Hütte?, Alles wird gut, Ich schiebe und Wohin mit dem ganzen Glück?“

Diese Methode hat Vorteile und bietet nebenbei noch die Chance, auch zuvor, zugegeben sehr hoch, gesteckten Ziele geschickt zu „umfahren“, wenn aus wichtigen Gründen (es regnet doch oder es ist ja schon so spät) mal ein Gipfel aus der Karte ausradiert oder umfahren wurde.

Udo – mit beinahe allen Wassern gewaschen, jetzt auch mit den kühlen Wassern mit Hagel- Peeling des Stilfser Jochs. „Es regnet nicht!“ Beim nächsten Cross packe jedenfalls ich seinen Packbeutel B.

Udo – der Purist. Bezogen auf seinen Rucksackinhalt für eine Tour. Da kennt Udo keine Gnade und hat auch keine Reserven, jedenfalls nicht wenn sie was wiegen. Na ja nicht ganz, ein Lederwaschbeutel hat er sich doch gegönnt, aber ansonsten würde sein gepackter Alp-X-Rucksack im Geschäft zwischen den anderen leeren Deutern nicht auffallen. Trotzdem habe ich ihm noch eine Regenhose aufgeschwatzt. Irgendwie habe ich erst am 8. Tag realisiert, dass auch noch sein Allien in meiner Satteltasche und sein Fotoapparat in meinem Rucksack waren. Um eins drauf zu setzen, spendierte ich ihm die Tremalzo-Tunnel-Durchfahrt ganz ohne Rucksack, etwas wohl Einmaliges – bei Trans-Alpern, ausgenommen die Warmduscher mit Gepäcktransporter. In Sachen Gewichtsreduzierung geht Udo sogar forschungsreifen Selbststudien nach, indem er die Mineralien für die gesamte Tour zuhause schnell vor der Abreise in einem explosivem Gemisch inhaliert. Dazu sei zu sagen, dass der Körper überschüssige Mineralien und sonstigen Power-Mittel nicht einlagert, sondern umgehend wieder ausscheidet. Das wiederum kann zu unerfreulichen Situationen führen. Das Ergebnis der Studie: Ärger mit der Bahnhofstoilette, nasale Irritationen im Zug, Verdacht auf lange nicht gewaschene Handschuhe, wunder Hintern am ersten Tag und 3 € Strafe für 3 Minuten Duschen auf der Freiburger Hütte. Ich hatte zum Glück 20 Beutel (840 Gramm!) Xenofit Competition dabei, die uns beide auf Trab hielten, absolut zu empfehlen.

Udo – Traditionell? Udo ist eher der modere Fashion-Man und geht viele Trends mit, hat aber insgeheim auch eigene Traditionen entwickelt, z.B. Joghurteisbecher in Riva, Besuch bei Mecki’s und anschließendes Szene-Glotzen und Trinken in der Winds-Bar. Wat mut, dat mut.

Udo – auch ein Mann der Widersprüche. Kennt alle Komponenten und hat fast alles zu hause, versucht aber möglichst nichts davon mitzunehmen. Das gleiche gilt für die Kleidung, sogar Regenkleidung hat er. aber wofür? „Es regnet nicht, wofür soll ich da auch noch Überschuhe für den Goretex-Schuh mitnehmen?“ – Na damit der Stilfser Hagelregen nicht oben reinläuft. Ich glaube, er ist jetzt doch auf meine Gore Paclite Stretch-Hose neidisch :-).

Was den Titel „Unser Schönster“ dieser Story angeht, bin ich mit Udo einer Meinung, wie in fast allen Situationen dieser Tour. Seine Kamera habe ich übrigens gern getragen, endlich mal einer, der genauso viel von Fotopausen hält wie ich und den eindrucksvollen Orten auch mal ne halbe Stunde Aufmerksamkeit schenkt, auch sonst hat wirklich alles gepasst. Ich freue mich schon aufs nächste Mal.

© Werner Götte, nach dem Angeln am 25.08.zwonullnullsieben

Der 1. Tag – Fr 20.07.

(61km, 4h:15min, 1.546 Höhenmeter)

Siegsdorf – Traunstein (bzw. Höslwang – Endorf) / per Zug Traunstein resp. Endorf – Muc – Oberstorf / Oberstorf – Schrofenpaß – Warth – Lech – Zug – Freiburger Hütte

Der Tag ist noch ganz jung. Alle schlafen. Um 5.30h reißt mich der Handy Wecker aus dem traumlosen Schlaf und es gilt den Zug um 6.28h zu erwischen. Der Rucksack ist gepackt (weniger ist mehr) und die innere Unruhe steigt. Ein Schuss Nervosität.

Die Luft ist frisch. Die Tatsache, dass ich auf nüchternen Magen meinem halbschlafenden Organismus die geballte Ladung eines ganzes Liters Ariona-Direktsaftes (2 Stamperl auf 1 Liter)  zumute, führt wenig später zu einem brummelnden Magen und wird in der Folge mit einer leichten Verdauungsverunsicherung belohnt. Um Punkt 6:28h hechele ich auf den Bahnsteig, keine Minute zu früh. Die Konsequenzen muss ich ganz alleine tragen. Nicht ganz. Werner, der gegen 7.00h frisch in den Zug steigt, führt seine Handschuhe nach wenigen Minuten zur Nase, als ob sie nicht frisch gewaschen seien. Sie waren frisch gewaschen.

10.48h. Oberstorf. Alljährlich Start- und Ausgangspunkt ungezählter Alpencross-Etappen. So auch für uns. Natürlich nicht ohne dem Vater, Andi Heckmair, des Transalp Gedankens einen Besuch abzustatten.

Dann, nach ausgiebiger Nutzung aller verfügbaren Bahnhofs- und sonstiger Toiletten geht es los. Der Schrofenpass ruft.

Wer von Oberstorf über die Alpen will, der muss durch oder vielmehr über dieses Nadelöhr. Doch zuvor führt die Route durch das traumhafte Sillachtal – der Kessel hinter uns verschlankt sich zunehmend, die vor uns liegende Hochebene erinnert an das Winnetou-Plateu der Krimmler Taunern – bloß ein wenig zahmer. Völlig unvermittelt jedoch bäumt sich der Weg auf und die Rampen werden richtig garstig. Buchstabensuppe. Lauter S und U Kehren, heftig, knackig, kernig und so abrupt, wie sie gekommen, so enden sie an einer kleinen unbewirtschafteten Hütte.

Puh, die erste Wertung geschafft. Es beginnt ein kleiner zunächst zaghafter Trail, der sich jedoch nach kurzem pedalieren als unfahrbar entpuppt und so stehen wir vor den ersten Metern Schiebepassage – die ersten von rund 18.000 (!, richtig gelesen, stimmt schon) die noch folgen sollen.

Schrofenpaß ist vielleicht eine Abwandlung von „schroff“, schroff nämlich die Wand als auch der Weg, nie zu steil, dennoch irgendwie unfreundlich schmal. Die Pedale schlagen mitunter kräftig auf die Schienbeinknochen, man muss sich ergonomisch erst einmal wieder eingewöhnen. Nach ca. 45min geht es dann nur noch mit „Bike links“, also völlig anormal vorwärts, dann kommt sie. Die legendäre Leiter, die über einen kleinen Abgrund etwas kippelig und dünnwandig uns die Hand zum Schrofenpass reicht. Der Blick ins Tal ist gigantisch, die Kulisse fordert uns ordentlich Trittsicherheit ab, die Flanken hinauf als auch hinunter dürfen auf dem Etikett völlig zu Recht „Alpines Gelände“ tragen.

Schrofen

Rast die erste 2007. Einen Seitenbacher Stärkung und den Blick wohlwollend rollen. Hach geht es uns gut. Alpencross null sieben hat begonnen, nein,  wir sind schon wieder mittendrin. Was in den letzten Wochen mit Respekt bedacht wurde (schaff ich es?) ist nun Routine, ein eingespieltes Programm, welches solide und zuverlässig sich abspult und hoffentlich auf Dauer stabil bleibt. Stabil ist bei mir fast alles, bloß der Magen meldet sich nach wie vor mit einem nervösen brodeln und mein Hinterteil setzt Erinnerungen an die wunden Po´s meiner Kinder frei.

Die liefen damals im Sommer nach dem Wickeln Po-frei“ rum, an der frischen Luft, damit sich das rötliche verabschiedet.

Es geht talwärts, anfangs auf einem schicken Trail (einer von sehr vielen, die unseren Weg noch säumen sollten) und schließlich ordentlich befestigt nach Warth und Lech. Kurze Einkehr mit einer viel zu großen Portion Spaghetti und das Leben genießen. Wir sind schließlich nicht auf der Flucht und hell ist es noch lange genug.

Unser Roadbook führt nun nach Warth, Zug und schließlich Äpele, wieder ein Tal, eine tiefe Schneise, an der man sich hocharbeiten muss, wie frisch rasiert, flankiert von gewaltigen Bergen links wie rechts. Herrje, wie konnte ich jemals Vorbehalte gegen einen Cross äußern.

Die Steigung ist nun moderat, aber stetig. Einzig allein der Busverkehr ist etwas lästig, doch das Panorama entschädigt. Wir haben unseren Rhythmus gefunden, mein Hintern noch nicht, der jammert sich gerade wund. Die Körner verbrennen automatisch und wir ziehen stoisch unseren imaginären Tour-Track auf dem Garmin bzw. der dort hinterlegten Route.

Dann. Plötzlich. Ein See. Der Formarinsee unterhalb der Freiburger Hütte offenbart sich in einem Gemisch aus Sonnenlicht und Nebelfetzen, die Felsflanken beiderseits des Kessels schauen majestätisch und beruhigend hinunter, als wollten Sie sagen „Jungs, nur noch 20min, dann seid ihr oben“. Wir umrunden den See sprichwörtlich korrekt und landen auf der großen Freiburger Hütte auf 1.931m. Etappenziel Nummero uno. Bingo. Stolze Brust, wunder Hintern, ein, nein, zwei Bier, alles wunderbar. Jawollja.

Der Abend endet gemütlich, wir vespern, wir führen Buch, ich betreibe Po Pflege. Der Hüttenwirt ist – sagen wir einmal – von der etwas leidenschaftslosen Sorte. Die Dusche gibt’s im Angebot.  3 Euro für insgesamt 3 Minuten, die lauwarme Startphase eingerechnet.

Die Erkenntnis des Tages: Wir leben !

Adresse des Tages: Freiburger Hütte, DAV Sektion, 1.931m, +43 (0) 5556 73540, werner.hellweger@gmx.de

Der 2. Tag – Sa 21.07.

(49km, 6h:24min, 2.055 Höhenmeter)

Freiburger Hütte – Dalaas – Kristberg – Hasahüsli – Silbertal – Heilbronner Hütte

Neuer Tag, neues Glück. Mein Hintern war über Nacht eingebettet von feinster Seide und hatte Luft zum Atmen – schaut gut aus :-). Weniger gut schaut es mit unserem Müsli aus. Immerhin sind ca. 3 Stückerl Apfelschrammen aus dem Raspler drauf, wir hatten keine Gelegenheit uns die Portion selbst zu gestalten – etwas lieblos das Ganze. Dennoch, die Unterkunft war ok, die Betten sauber, das Haus gepflegt.

Der Vorteil einer Nächtigung in der Höhe ist der, dass man zunächst wieder runter muss oder besser darf. Sprich downhill. Jaaaa. Spitze ist das passende Wort. Allerdings auch  kurz, denn es folgt alsbald ein Trail, der unsere Fahrtechnik abruft. Auch hier gilt: Kulisse phantastisch, die Atmosphäre scheint märchenhaft verwunschen. Das Leben ist schön.

Im Hinterkopf noch den Formarinsee, im Blick vorne schon die nächste, zum Glück nur kurze, Schiebepassage. Die Laune ist gut, das Wetter ist bestens. Wir münden einer Schotterstrasse, nachdem wir den lenkerbreiten Singletrail ordentlich abgearbeitet haben. Wir floaten. Die Abfahrt nach Dalaas bläst uns den Kopf frei. Ja.

Nächste Station: Kristberg. Unspektakulär durch den Wald auf solidem Schotter, unsteil, aber immerhin bergan. Schwupp, oben, der nächste Traumblick ins Tal. Das Crosser-Päarchen aus der Hütte vom Vortag ist bereits bei einer Rast (klar, schließlich sind sie entsprechend eher losgefahren) und so entwickelt sich gemütliches Alpencross-Plauschen an der Bergflanke. Kurze Rast, die Seitenbacher Powerbombe will akkurat portioniert sein, und weiter führt uns ein schöne Höhenweg an des Berges Rücken entlang. 

Doch bevor wir Hasahüsli, welch netter Name, ansteuern, unterziehen wir uns einem Härtetest der besonderen Art. Die Kneipanlage am Wegrand frohlockt und fordert uns zugleich.

Der kieselharte Untergrund gepaart mit laufendem eiskalten Bergquellwasser ist nur für Hartgekochte. Manno – ist das kalt. Kurze Pausen sind für unsere zarten Bikerzehen ein Muss. Aber wir werden ordentlich durchgefrischt und erfreuen uns an unserem Zeitguthaben, welches der liebe Herrgott uns in dieser Woche stressfrei zu Verfügung stellt. Herrlich. Mit warmen, gut durchblutendem Fußes, nehmen wir die Fährte wieder auf – und schwupp, hast du nich gesehen, münden wir an der gemütlich urigen Jausenstation in Hasahüsli.

Keine Frage: Rast, Kaiserschmarrn, Radler

Mahlzeit

Werner ist im Besitze eines Großmagens, ich werde künftig nur noch Kinderportionen (Pumuckl) bestellen.

Vor uns liegt das Silbertal, der Name klingt vielversprechend, die Alpen stellen sich im Wortsinne uns in den Weg. Steil ragen die Flanken der Berge vor uns auf, nur ein schmaler Schlitz markiert die Furche, durch die wir scheinbar müssen/dürfen/können.

Das Silbertal. Ein Traum. An jeder Wegbiegung, hinter jeder Kurve, neue Highlights, neue Perspektiven, an jeder Ecke ein „WOW“. Und so entwickelt sich langsam mein neues Lieblingswort dieser Tage: „Unglaublich“, mit Betonung auf eine ausreichend gedehnte „Uunn“-Vorsilbe.

Silbertal

Ein Päarchen im mittleren Alter kommt des Weges und fragt nach selbigem. Werner, Navigations- und Kommunikationsfreak, erbarmt sich ihrer und steht Rede und Antwort, während ich die Kulisse inhaliere und überraschenderweise am nächsten Eck die kleine Kapelle auf der Anhöhe zu einer Gedenkminute nutze. „Jonas, kannst Du mich hören?“

Die Antwort gebe ich mir selbst, indem ich die mächtige Glocke per Strick ala Don Camillo betätige. „Ja, Udo, ich kann Dich hören!“

Werner kommt und erzählt mir die Geschichte der beiden ungleichen Wanderer. Sie frägt nach allen Himmelsrichtungen und ihr Göttergatte sagt „Ach, halt doch den Mund, du dummes Stück“. Willkommen im Alltag bei Dingenskirchen, oder wie immer sie heißen.

Das Silbertal. Ein Traum. Der abrupt endet. Unvermittelt wird aus dem Weg, ein Weglein, aus dem Weglein ein Pfad, aus dem Pfad ein bockiges Etwas aus grobem Gestein und Sumpfbeulen mit später ansteigender Tendenz. Matschtümpel, halb verwaiste Brückenprovosorien, allerei Unwegsames. Mühsam, nein, sehr mühsam. Werner legt sich dann in einer der ganz selten fahrbaren Abschnitte auch noch ordentlich in der Nähe eines Kuhfladens lang und ich hab gut lachen. Alles fahrbar.

Diese Tortur geht noch eine Weile und aufgrund unseres Schlendrians morgens und mittags werden wir bzgl. der Tagesendzeit auch bestraft.

Es ist nach 20.00h als wir endlich wieder fahrbares Terrain unter unseren extrem haltbaren Nobby Nic bekommen und die Heilbronner Hütte sich langsam ankündigt. Nur ein ordentlicher Stich und wir betreten die rappevolle Stube, die geschwängert von Bergsteigergeschichten und Bikerblut ist. Ein, nein zwei Weißbier.

Der Abend endet, wie der Tag begann: gemütlich. Essen, ratschen, duschen, Wundenlecken, genießen, schlafen. Wir leben.

Die Erkenntnis des Tages: Udo riecht nicht mehr. J

Die Frage des Tages: Braucht die Welt Kopfstützsensoren auf den Rücksitzen und wenn ja, warum ?

Adresse des Tages: Heilbronner Hütte, 2327m, +43 (0) 5558 8729, info@heilbronner-huette.de, www.heilbronner-huette.de, Manfred Immler

Der 3. Tag – So 22.07.

(61km, 5h:28min,  1.553 Höhenmeter)

Heilbronner Hütte – Zeinisjoch Stausee – Galtür – Ischgl – Bodenalpe – Gampenalpe – Heidelberger Hütte – Fimberpaß – Zurort – Vna – Ramonsch – Sur En

Ja. Downhill. Breites Grinsen in Anbetracht der vor uns liegenden gewaltigen Bergkulisse hier auf 2322m. Oh nein, eingefrorenes Grinsen in Anbetracht der sich abzeichnenden Gewitterfront, die sich mit Hilfe von dunklen Wolken rasch ankündigt. Werden wir unsere Regensachen tatsächlich brauchen? Die Frage beantworten wir nach dem Frühstück und der Morgentoilette. Ausgiebig.

Petrus hat kein Mitleid mit uns. Also alles raus, Kapuze, Paclite, Handschuhe. Feel warm, feel good. Just als wir starten wollen, öffnet die Himmelspforte zum kurzen Gruße, als ob der uns geschickte Regenbogen eine Art Segen darstellen soll. Uunnglaublich. Es geht talwärts und das gleich so schön, dass wir den Abzweig zum Zeinistrail komplett übersehen und weiter unten ein paar steile Bonushöhenmeter machen dürfen. (Zitat im Logbuch: „Der Downhill ist eine Wucht in Tüten“) Dafür werden wir mit dem Zeinis Stausee belohnt, der von einer gigantischen Staumauer im Zaume gehalten wird. Wir haben Glück, der Regen hört auf bevor er richtig begonnen hat.

Nun gleiten wir gemütlich weiter, scheinbar endlos, ohne Einsatz der Bremsen, der Schotterweg ist sehr gut fahrbar, Galtür und Ischgl rücken schnell näher und die gewaltigen Lawinenbollwerke erinnern an die Murenabgänge vergangener Tage.

Wir sind gut in der Zeit, so gut, dass wir ein junges bikendes Päarchen überholen, welches die Nacht auch auf der Heilbronner Hütte verbracht hat. Die beiden gönnen sich im Ortskern von Ischgl eine ausgiebige Cappucino / Schinken-Käse-Toast-Rast.

Wir verweigern und spuren den Weg zur Heidelberger Hütte vor. Wir streben schließlich nach Höherem. Das sollte kommen. Knackige 16-18% stellen sich uns entgegen. Und hast-du-nich-gesehen, stellt sich uns die nächste Talschneise in den Weg, bzw. öffnet diese bereitwillig ihre Schenkel. Die Talschneise wohlgemerkt. Wie im Film, wie gemalt. Uunnglaublich – aber das sagte ich bereits. Wir fahren und fahren, gleiten fast, schrauben Höhenmeter in einem gleichmäßigem Gewinde bergan, treffen eine nette ältere Dame, die uns verrät, dass „es weiter hinter noch schöner sei“. Noch schöner ? Ja, wie denn?.Konsultation des Logbuchs hierzu: „man kann es nicht beschreiben, man muss es gesehen haben“.

Mehr ist dazu nicht zu sagen. Fahr doch selbst !

Weit hinten kündigt sich die Heidelberger Hütte an. Das haben wir gleich. Mein Hintern hat mir verziehen und bei moderatem Tempo schaffen wir die erste Etappe des Tages mehr oder minder locker. Wie ein grober Klotz inmitten der Bergkulisse wirkt sie anfangs etwas plump, präsentiert sich aber rustikal gemütlich und herzig. Pumuckl für mich, was ordentliches für Werners Großmagen.    

Dann 14.50h die nächste Aufgabe: Fimberpass. Im Roadbook steht: schieben. Doch die Qual währt nicht lange und ist im Grunde auch keine. Oben auf 2608m angekommen, bläst ein deftiger Wind, aber das Panorama ist nicht minder berauschend. Wir nehmen eine Auszeit. Schalter auf „Genuss“. Respekt. Demut.  Ehrfurcht. Stille.

Fimbaaaaaa

1 Stunde vergeht. Die eine Stunde war es wert. Kinder auf Erden – Wahnsinn. Der Ausblick raubt uns den Atem. Innehalten.

Und was einem dem Atem raubt, darf auch entsprechend dokumentiert werden. Es folgt ein zweiseitiger digitaler Auszug aus unserem internen Speicher ohne Worte untermalt mit Mozarts Musik.

Es folgt, was folgen muss, wenn man auf über zwosechs ist. Ein Hammertrail. Grenzwertig fahrbar, tückisch, knifflig, gespickt mit Stufen, Rampen und Sonderprüfungen. 80-90% fahrbar – 100% Konzentration vorausgesetzt. Irre.

1.400 Höhenmeter Abfahrt gilt es so abzuschmelzen. Wir rauschen kontrolliert in die Tiefe. Später auf dem Fahrweg geht es Vollgas weiter und die Endorphine hüpfen emotionalisiert durch unseren Körper. Wie kleine Kinder.

Schwupp – hast-du-nich-gesehen, münden wir in Vná. Willkommen in der Schweiz. Vná ist ein Ort, der keiner ist, ein paar Häuser, saftige Wiesen. Ein Idyll. Die Ökodame, die sich hier anscheinend selbst verwirklicht, ohne dem Touri-Kommerz zu erliegen, bietet einen ordentlichen Kaffee feil und hat noch ein ganzes (1) Stück Rüblitorte im Angebot, welche sie mit zwei Gabeln und nicht ohne den Hinweis auf „aber schon teilen, oder“ freigibt.

Hierzu ist zu sagen: Werner ist mit 5 (fünf) Geschwistern groß geworden. Ich denke mal, die Torte war lecker, so schnell war sie weg. Köstlich muss sie gewesen sein, das eine Stück.

Wir folgen der Empfehlung „links“ und kommen somit in den Genuss eines phantastischen Höhenweges, der bilderbuchmäßige Eindrücke hinterlässt. Eva Fünfgeld lernen wir später kennen – sie wäre „rechts“ gefahren und hätte eine tolle Hängebrücke im Angebot gehabt. Wir bereuen nix.

Ramonsch, mitten auf unserem Weg, ist die Fortsetzung der Bergidylle, aber das dortige Hotel absolut unfreundlich und nicht weiter empfehlenswert, so trudeln wir weiter bergab bis nach SurEn, wenn wir schon unsere ursprüngliche Etappenplanung mit 2.700 Höhenmeter heute ordentlich verfehlt haben. SurEn, etwas verschlafen und unspektakulär hält wenigstens ein tolles Hotel mit bester Küche parat. Auf dem Parkplatz des Hotels treffen wir Eva Fünfgeld, die uns unvermittelt mitsamt ihrer ca.  12köpfigen bikenden Reisetruppe zu einem Schnaps und einem lauwarmen alkoholfreien Weißbier einlädt und zugleich in ein Alp-X-Fachgespräch verwickelt. Wir fühlen uns wie zuhause. Herrlich. Plapper, plapper, plauder, die Zeit vergeht und die Dusche läutet zum „last order, please“.

Martin, seines Zeichens Vollbluttechniker von BiTou erbarmt sich meiner Scheibenbremse, die heute beim  100%-Trail ziemlich Federn, sprich Metallspan gelassen hat und setzt diese wieder sauber instand. Wir essen die beste Pizza dieser Tour, genießen unser Weißbier und Werner gönnt sich sogar noch eine Nachspeise. Fröhliches Fachsimpeln (Werner hat ein Fallschirm-Opfer gefunden, oder er ihn, so genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren) und die Bilder des Tages der BiTou Truppe runden den Abend harmonisch ab. Was wollt ihr mehr ?

Die Erkenntnis des Tages: Werner schnarcht ausdauernd. L

Die Frage des Tages: Wo ist die Reißleine beim Fallschirm und wenn nein, warum ?

Adresse(n) des Tages: Gartenbergbeizli Tann Da Muntanella, Mundgenäscht, Doris Bertschinger, Griosch, 7557 Vná, +41 (0) 79 683 00 07, 7 Stück Tiere !

Landgasthof Val ´d Uina, Gilgia & Ruodi Duschletta-Stuppan, 7554 Sur En/Sent, +41 (0) 081 866 31 37, valduina@bluewin.ch, www.sur-en.ch

BiTou GmbH, Bike Tours & Adventures Incentives, Ballrechterstr. 4, 79219 Staufen, +49 7633 808 866, info@bitou.de, www.bitou.eu

Der 4. Tag – Mo 23.07.

(48km, 6h:05min,  2.623 Höhenmeter)     

Sur En – Uina DaDaint – Val di Uina – Sesvenna Hütte – Schlining – Schleis – Glurns – Laatsch – Lichtenberg – Schartalm – Obere Stilfseralm

Heute ist Traumtag. Warum? Jeder hat doch so etwas. Einen Traum. Nach dem Motto: da muss ich unbedingt mal hin. Nach dem Motto: das will ich im Leben wenigstens einmal gesehen haben. Die einschlägigen Bikemagazine und die korrespondierenden Bücher (Tipp: Bike Tagestouren in der Schweiz, AT Verlag, ISBN 3-03800-247-x) hatten in den vergangenen Jahren ihren Anteil am Zauberwort Val di Uina. DA muss ich mal hin.

Heute morgen stehe ich am Fuße dieses Traumziels und die gute Laune paart sich mit scharfer Erwartung zu einem Cocktail, der mich vor Glück besoffen machen soll. Aufgesattelt. Unsere treuen Centurions stehen erwartungsvoll am Brunnen. Brav Weißer. Unsere Bikes haben bisher einen tadelfreien und vor allem klaglosen Job verrichtet.

Die Reifen trotzten den wahrhaft hartgesottenen Steinen, die Federelemente dämpfe solide, die Brakes verzögern effektiv und so verbringen wir die Zeit bislang stets außerhalb jedweder Gefahrenzonen.

Auf geht’s. Wer unten schläft, muss morgens hoch. Waldweg, Bachlauf, verwunschene Kulisse, teils saftigst steil, aber alles fahrbar. Durchaus knackig. Die drei Münchner, die sich den Anstieg mit uns teilen, versägen uns und werden kurz darauf von uns versägt. Wir schenken uns nichts und klettern gemeinsam, auf einmal vom Wald ausgespuckt, Richtung Uina Dadaint – eine Zwischenstation auf dem Weg zum Glück. Minirast – wir wollen hoch, die Schneise ist schon von weitem zu sehen.

Man stelle sich vor: zwei riesige steil aufragendende, schroffe grau Felswände, eine tiefe Schlucht, unten donnert der Wildbach und versucht im tausend-Jahr Rhythmus das Gestein zu formen. Oben, links, hat Menschenhand in die scheinbar unbezwingbare Wand eine Nut gefräst, als ob ein gewaltiger Riese mit seinem Daumen dort entlang geratscht wäre. Durch diese Nut, teilweise nur Lenkerbreit und ohne allzu große Sicherung, müssen wir durch. Trittfestigkeit sei empfohlen, ein stückweit Schwindelfreiheit schadet nicht. Wer hier fährt oder je gefahren ist, ist nicht mutig, sondern – mit Verlaub – bescheuert.

Val di Uina. Hast Du so was schon gesehen? Jetzt ja. Uunnglaublich. Toll. Ein kleines wenig Gänsehaut bemächtigt sich meiner. Stolz. Ey, isch bin hier. Hab ich´s doch gewusst. Das Logbuch sagt hierzu: „unbeschreiblich – Leerzeile!“

Mein Güte ist das schön. Wir knispen, fotografieren, staunen und kommen nur langsam vorwärts – zu sehr bemächtigt sich dieser Schlitz unserer Wahrnehmung. Wir leben.

Flop. Oben angekommen, erklimmen wir die künstlich angelegte „Bikebremse“ in Form von aufgetürmtem Gestein, damit wirklich jeder, der talwärts will, aus dem Sattel gezwungen wird. Ein weit ausladene Hochebene liegt vor uns. Saftiges Grün, karge Hänge, Bergrücken so weit das Auge reicht. Eine Hochebene aus dem Hochglanzprospekt. Wenig später nach erneutem Trailsurfen dann Einkehr im berühmten und nicht minder schönen Sesvenna Haus, gleich neben der Ruine der alten Pforzheimer Hütte.  Nun sag mal was. Uunnglaublich.

Einkehr, Rast, einatmen, Spaghetti, Radler. Grinsen. Breit.

Pausenende = Abfahrt. Schelmisches grinsen setzt sich fort, in Anbetracht der Lektüre des Höhenprofils. Achim Zahn rät uns die Einkehr zum  Cappucino in Glurns. Bis dahin ist es noch sehr weit – vertikal gesehen. Also radieren wir Höhenmeter. Auf geht’s.

Wir überholen abwärts (!) schiebende Biker,  die in Anbetracht des immer steiler werdenden Pfades es vorziehen sich der Schwerkraft mit Hand und Fuss zu widersetzen, wir überlassen diesen Job ausschließlich der V-Brake, respektive meiner bis dahin einwandfrei arbeitenden Louise FR. Bei 35-40% Gefälle wird es leicht haarig und von Stotterbremsen kann keine Rede mehr sein. Wenig später dann lösen wir die Hebel und lassen es g´scheit krachen. Keep on grinsing.

Kurz vor Schluss dieser berauschenden und krassen Abfahrt dann der Gau. Es rappelt, rumpelt, klirrt metallisch und für einen Moment ist mein System ohne Druck. Schreck. Der Druck kommt sofort wieder und mit ihm ein hässliches Geräusch, dass darauf schließen lässt, dass ich von nun an mit der Traumkombination Metall/Metall  bremse. Ihhhh.

So geht das nicht weiter und nachdem Werner mir erzählt, dass er nur knapp dem Touchdown mit einem Jeep-Kühlergrill verfehlt hat, schnaufen wir erstmal kräftig durch und grinsen nur noch leicht eingeschränkt.

Nachdem Martin von BiTou mir gestern einen Crash Kurs in Sachen Disc-Brake gab, bin ich heute in der Lage, meine Unpässlichkeit selbst zu lösen. Zum Glück habe ich Ersatzbeläge on board. Der Wechsel geht ruckzuck und das ehemals hässliche Schrammen gehört der Vergangenheit an, stimmt mich dennoch tendenziell vorsichtig. Der Cappucino ruft.

Marktplatz Glurns. Historisch gewachsen, gemütlich traditionell gepflegt. Alter Baumbestand, ein Brunnen, ein üppiges altes Gasthaus, vor dem wohl vor hunderten von Jahren schon die Postkutschen zur Einkehr anhielten. Hier soll es sein, hier wollen wir unsere Mühsal kurz unterbrechen, innehalten und dem Treiben der Gaukler und Zünfte zusehen. Zwei Cappucino, zwei Radler.

Wahnsinn?

Ein sympathisches Ehepaar aus Düsseldorf spricht uns an. Ja, wie das denn möglich sei, nur mit dem Fahrrad von Deutschland und dann noch bis zum Gardasee, ja, um Gottes Willen, das ist doch anstrengend – oh weh. So plaudern wir munter dahin, bestellen noch einen zweiten Cappu und klären das lebensfrohe Ehepaar über die strategischen Aspekte eines Alpencrosses auf obwohl sie diese nie mehr brauchen werden.

Auch diese Zeit geht vorüber und der nächste Anstieg Richtung Lichtenberge zur Schartalm steht auf dem Programm. Kein besonderer Härtetest, sondern nur ein Uphill durch einen netten Wald mit gelegentlichen Blicken ins Tal. Es knickt und knackt plötzlich. Uupps. Mein Lager ? Egal, die Stimmung ist prima, wir quatschen über Gott und die Welt, vergießen dabei ein paar Schweißtropfen und nähern uns langsam der Gabelung,  die uns eine Entscheidung abverlangt. Das Roadbook will uns zur Furkelhütte leiten – wir sind aber schlauer und wissen: eine Übernachtungsmöglichkeit dort gibt es nicht, die Abfahrt ins Tal würde aber zusätzliche 600 Höhenmeter zur Folge haben. Die Kompasskarte gibt Aufschluss. Rechts von der Furkelhütte ist die Obere Stilfseralm eingezeichnet, der Weg scheint zumindest gehbar, die Höhenlinien lassen nur einen geringfügigen zusätzlichen Anstieg vermuten und von dort könnte man am nächsten Morgen wahrscheinlich gerade am Buckel zur Furkelhütte hinübergleiten.

Abzweig Schartalm. Wir entscheiden uns, die Streckenführung eigenmächtig zu verändern und nehmen die Variante über die Obere Stilfseralm. Der nun folgende Anstieg auf gut 2.300 (wir kommen von 1.800m) fällt mühsamer und länger aus als die Karte vermuten ließ. Die stets aufwärts treibende Zickzack-Wegführung ist anstrengend, ein Ende nicht in Sicht, die reine Luftlinienrechnung (ca.5km bis zur Alm) viel zu ungenau. So vergeht Kehre um Kehre, Stein um Stein, Wurzel um Wurzel ohne dass wir spürbar dem Ziel näher kommen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir mittlerweile (es ist nach 19h) die 2.300er Marke längst überschritten haben, die Alm aber „nur“ auf 2150m liegt. Geht es – wider Erwarten – wieder bergab? Offensichtlich. Lange Rede. Kurzer Sinn. Die 180m „Downhill“ entpuppen sich als lenkerbreiter Wurzelsingletrail, der vor Einbruch der Dunkelheit und mit aufbrausenden Windböen unsere volle Aufmerksamkeit fordert und meine Motivation sich der Null-Bock-mehr-Grenze nähert. Werner nimmt das ganze gelassen und verweist auf den Trainingseffekt.

Endlich. Gegen 20.30h münden wir an der Stilfseralm und klopfen, wie einst Hänsel & Gretel am Hexenhäuschen an. Ich fahre mit fast meinem ganzen Bike in die gute Stube und stelle die einzig mögliche Frage in den Raum, ohne die darin sitzenden sehen zu können: „Sind wir dort, wo wir sein müssten?“ Mehrstimmiges schallendes Gelächter ist die Antwort, ergänzt um  den Zusatz „Wiss ´mer ned,  mal den Wirt fragen ….. Aloisss!“ Alois kommt, schenkt uns sein sanftestes Lächeln und sagt mütterlich „Kummts erst mal rein, stellt die Räder in den Schuppen, ich mach Euch was zum essen, die Küche ist da hinten.“ Alois gewährt uns Asyl. Ein Retter.

Wir landen in der Küche des Hauses, bekommen zwei frische kühle Weihenstephaner und erfahren, dass wir Glück haben, da Alois nur etwa an 10 Tagen im Jahr in der Alm über Nacht ist – eben dann, wenn Wanderer reserviert haben. So wie heute. Alois ist ein Pfundskerl, er schlachtet sein abgehangenstes Stück Speck und metzelt daraus feinste Scheiben zu einer gigantischen Speckplatte,  die er uns kredenzt. Wunderbar – so langsam kehren die Geister zurück.

Wir verbringen eine herrliche Nacht auf dieser gemütlichen ursprünglichen Alm, auf der es nach Aussagen zahlreicher Gäste den besten Kaiserschmarrn Europas („Macht die Mama“) gibt! Dieser Nacht geht ein sehr interessantes und informatives Gespräch über die Machenschaften im  Skisport voraus und wir erfahren viel über Mannschaften, Trainingsstrategien und den Kommerz und Leistungsdruck im Skisport. Alois weiß wovon er spricht. Gegen 23.30h fährt er ins Tal  und lässt uns mit den Wanderern allein in der Hütte. Wir schlafen tief und fest den Schlaf der Seligen. Uns geht’s gut.

Die Frage des Tages: Wo ist die verdammte Hütte ?

Die Erkenntnis des Tages: Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwann die Alm daher.

Adressen des Tages: Sesvenna Haus, AVS Schutzhütte, Fam. Pobitzer, +39 0473 830 234, www.sesvenna.it

Hotel zum grünen Adler, Glurns. Cappucino auf dem Marktplatz

Fam. Pinggera, Stilfs, I 39029 Dorf 174, +39 0473 611 744, +39 3355 42 5007, info@a2s-skiservice.com

Der 5. Tag – Di 24.07.

(47km, 4h:04min, 1.944 Höhenmeter)

Obere Stilfseralm – Wanderweg 12a – Furkelalm – Skiabfahrt – Stilfserjoch Paßstraße – Stilfser Joch – Bormio

Meio. Der Himmel ist wolkenverhangen. Er droht mit Regen. Die Temperatur ist grenzwertig niedrig. Die gesamt Atmosphäre eher ungemütlich. Also ordern wir bei Mama einen Kaiserschmarrn zum  Frühstück. Eigentlich, ernährungswissentschaftlich ein tatsächlicher Schmarrn, aber wenn es doch der beste ist. Es gibt frische Bananenbuttermilch – hmmmm – und anständigen Kaffee. Die Regenfront lässt sich davon aber nicht beeindrucken und entscheidet sich zum pullern. Igitt.

Also Klamotten an, Kapuze raus. Abwärts. Alois hat uns einen Geheimtipp verraten. Wanderweg 2A lautet die Route. Nach kurzem Trail münden wir an einer komfortablen Schotterstrasse, checken die Kompass Karte und unser Navigationsgerät ab. Und wer kommt daher? Mein Kollege Wolfgang. Strampelt kräftig bergan und ist nicht weniger überrascht wie ich. Großes Hallo. Sind wir nicht alle etwas alpenkrass?

Nun nur von 1.720m auf 2.250m. Es windet. Es nieselt. Es regnet. Es hilft nix. Je höher wir kommen, desto ungemütlicher wird es. Die Temperatur sinkt, der Regen nimmt zu und wandelt sich schließlich in Hagel. Ey, Scheiße. Ich hatte dieses Jahr einen Schönwetter-Cross gebucht. In Anbetracht der noch vor uns liegenden Tagesetappe bin ich leicht aus dem Konzept. Wir müssen noch auf über 2700m, haben noch ordentlich Kilometer vor uns und wissen nicht einmal genau, wie die Streckenführung ab der Furkelhütte läuft, da der Goldseeweg alles andere als komfortabel sein soll. Und das ganze bei Dauerregen, Wind und Hagel ? Ey, Shit. Die Furkelhütte. Der Lift ist in Betrieb, das Wetter ist grausam. Es ist kalt, es ist klamm, es ist nicht schön. Mein Kollege und seine 4 Freunde suchen ebenso Unterschlupf wie Werner und ich. Das Nebenzimmer ist gepflastert mit nassen Bikeklamotten, triefenden Regenjacken und stinkenden Schuhen. Wir nehmen eine Gesamtpause und warten darauf, dass sich Frau Holle eines besseren besinnt. Herrschaft.  Was tun? 700 Höhenmeter unwegsames Schieben auf einer Länge von 10km oder abfahren auf 1500m und dann schlappe 1200 Höhenmeter hinauf.

Pest oder Cholera? Lauwarmes Bier oder kalter Kaffee?

Nudelsuppe, Snickers, heißer Tee – irgendwann ist das gastronomische Programm jedoch erschöpft und eine Entscheidung ist zu fällen. Will man bei so einem Wetter wirklich vorwärts? Immerhin ist die Frage nach dem Weg geklärt. Wir nehmen die Skiabfahrt (diese ist wirklich zu empfehlen) anstelle des Goldseeweges, der eine reine Schiebepassage zu sein scheint. Die Skiabfahrt ist ok, wenngleich gut steil. Frei nach Murphys Law passiert das, was an so einem Tag nur passieren kann: mir reißt abermals der Bremsbelag. Diesmal hinten. Erfahren wie ich bin, wechsele ich das Ding innerhalb von wenigen Minuten, lasse die bikenden Österreicher, die uns kurz darauf gefolgt sind, passieren und wir stellen überrascht fest, dass das kühle Nass von oben sich verzupft hat. Es reißt auf. Na also, geht doch.

Wir münden an Kehre Nr. 43 (oder so ähnlich) und entledigen uns unserer
Regenklamotten. Kehre 43 heißt, „nur“ noch 43 bis oben. Kommt ein Rennradler daher. Völlig entkräftet, hält an, und erzählt uns vom Hagel (den kennen wir ja schon) und faktischen 2°C oben am Stilfser Joch und den gefühlten Minusgraden auf dem Weg hinunter. Oje. Das kann ja heiter werden.

Nun, da müssen wir jetzt durch. Es gibt ungefähr 50 oder 53 Kehren,  der höchste Punkt liegt bei über 2700m und ein zurück gibt es nicht. Wir „kehren“ nach oben. Nur noch 42.  Die Straße ist ok, die Blicke auf den links liegenden Gletscher schlichtweg imposant. Dann kommt der Gau. Wir schreiben die Kehre 29,  oder so. Es zieht zu,  es kühlt merklich ab, es tröpfelt, es tropft, es regnet, es schüttet. Ey. Meio.

Die Rettung naht. In Form eines Rifugios an Kehre 20 (oder so). Scheiß drauf, da gehe ich jetzt rein und warte bis es 30°C im Schatten hat. Mir doch egal. Werner folgt mit ca. 10 Minuten Verspätung (er hat sich komplett regentauglich umgezogen) und schenkt mir einen fragenden Gesichtsausdruck „Komm, Udo, geht schon, jetzt sind wir schon nass, außerdem ist es ein guter Trainingseffekt und meine Gore-Paclite ist genauso dicht, wie meine Überschuhe.“ „Ey, Werner, Zimmer kostet 38 Euro, keinen Meter mehr. Es ist kalt und nass und überhaupt.“. Außerdem habe ich meine Garderobe schon auf und am brennenden Kamin ausgebreitet. Die skeptischen Blicke der Gastwirtin ignorierend. Mir doch egal.

Um es abzukürzen. Werner gelingt es mich zu überzeugen weiterzuradeln und als ob Petrus mich milde stimmen möchte, hört es kurz nach unserem Start sogar auf und bleibt weitgehend stabil. Nur noch 19 Kehren.

Die Blicke zurück entschädigen, die Temperatur sinkt. Noch 17 Kehren.

Nicht das es wirklich steil wäre, aber irgendwie ist es halt einfach nur lang. Noch 13. Die latente Feuchtigkeit an meinen Füßen wird einfach nicht beachtet, das etwas klamme Gefühl an diversen Stellen schlicht verdrängt. Noch 9, noch 8,  7, 6, 5. Meine Zehen. 4,3,2. Ein Motorrad will uns überholen, der Motor würgt. Und tatsächlich in der allerletzten Kehre verreckt dem Piloten die Honda. Nix geht mehr. Wir ziehen mit mitleidigem Lächeln locker an ihm vorbei. Stilfser Joch: 2.758m. Sauber.

Der Andenken Kiosk hat allen Schnick Schnack im Sortiment,  auch einen windgeschützten Unterstand. Das Mädel ist nett und flirtbereit, die Chefin zieht alle Register einer Verkäuferin und Werner ersteht zwei Gipfeltrikots, ich ein Paar Socken mit Murmeltiermotiv. Was man halt so braucht.

Ein Haus weiter: ein Restaurant oder besser ein Raum in dem man Essen kaufen kann oder zumindest was essbares. Wir wärmen uns auf. Werner ordert Lasagne und bekommt einen lauwarmen Hundehaufen. Ok, das Kapitel haken wir besser schnell ab und rüsten zum Asphalt abfackeln. Sturzflug. Halten meine Bremsen ? Sie hielten. Sinkflug. Juhuuuuuu. Wir schrubben runter, lassen laufen und landen in Bormio.

Das angestaubte Hotel vis a vis bietet zwar einen günstigen Preis, aber wir entscheiden uns für Komfort und Style. Alles nuovo, alles väry geschmackvoll und vor allem hochwertigst. Schwarzer Schiefer trifft Desing Chrom Armaturen. Die Chefin persönlich legt sich ins Zeug und so bekommen wir die Alpencross Suite zum Special Preis. Uns geht’s gut.

Der Abend in der Pizzeria verwöhnt uns kulinarisch (Pizza, Tiramisu, Grappa) und das anschließende Gelato ist schon fast obligat. So ein Leben. Nachtruhe.

Die Erkenntnis des Tages: Alles wird gut.

Adresse des Tages: Hotel Meuble, Sertorelli Reit, via Monte Braulio 4, 23032 Bomrio (SO), Tel +39 0342 910820, info@hotelmeublebormio.com, www.hotelmeublebormio.com

Der 6. Tag – Mi 25.07.

(65km, 6:22min, 2.547 Höhenmeter)

Bormio – Santa Caterina – Gavia Paß – Pezzo – Casa di Visa – Rif. Bozzi – Montozzo – Lago Pian Palu – Pejo Fonti

Kampftag. Erste Etappe. Passo Gavia. Ordentlich Höhenmeter stehen auf dem Programm. Doch zunächst Suche nach einem Bikeshop. Der Mobo Shop ist etwas seltsam, die Bremsbeläge überteuert, Werner repariert selbst. Nun geht es doch wieder 1.200m am Stück hinauf, wenn auch nur auf Teer. Ab Santa Caterina versucht mich eine Rennradlerin zu überholen, ich lasse sie gewähren, klebe mich jedoch an ihr Hinterrad. Werner holt seinen Rückstand – er war kurz Wasserholen – schnell wieder auf. Mein Lager knackt seit geraumer Zeit immer rhythmischer. Ich habe ausreichend Zeit die vor mir fahrende Bikerin aus allen Perspektiven zu studieren. Schön, so was. Ein Knackarsch. Pardon. Die nächsten zweieinhalb Stunden weichen wir nicht von ihrer Seite, oder besser wir wechseln nur äußerst selten die Windschattenposition,  ab und an ein geradebrechtes Pläuschchen auf englisch/italienisch, ein kleiner Grinser und dann wieder backfront view. J. Ihr Wiegetritt ist selten aber wunderschön rund.

2h Studien

Neben dieser spezifisch weiblichen  Aussicht bemerken wir natürlich auch, dass die Landschaft um den Passo Gavia herum phantastisch ist. Nebenbei bemerkt. Man muss Prioritäten setzen.

Oben angekommen ist alles perfekt. Wetter, Ausblick, Stimmung. Etwas rege Betriebssamkeit, jede Menge Biker und Motorradler, etliche Touris. Dose Cola 3 Euro. Aber ok.

Lohn der Mühe: runterschreddern. Die Bremse funktioniert, also gib Gummi. Die Abfahrt ist super, die Landschaft schier – hatten wir ja schon länger nicht mehr – uunnglaublich. Bis zum Abzweig Richtung Pezzo, der fast schon überraschend linke Hand auf halber Höhe sich ankündigt.

Der Wunsch nach einer Mittagspause wird uns dahin gehend verwehrt, weil in Pezzo die Bürgersteige hochgeklappt sind und dort nix zu haben ist außer trocken Brot. Unser Einkehrversuch scheitert also kläglich, die hübsche Dame hinterm Tresen lässt sich nicht erweichen. Also weiter bis Casa di Viso (1.700m). Wow. Diesen Ort hat jemand vergessen. Hier ist die Zeit stehengeblieben. Lauter romantische alte Steinhäuser, handgehauener Schiefer als Ziegelersatz, krummes Gehölz dient als Geländer. Zwei Hübsche im knappen Bikini liegen vor einer der Hütten. Niemand ruft oder winkt uns heran. Etwas oberhalb eine kleine Alm mit Wirtschaft und der Option auf eine Brotzeit. Also, klarer Fall: Pause. Schließlich ist es mittlerweile schon wieder 15.00h.

Das Schlängelband am Hang können wir teils sehen, teils ahnen. Hoch müssen wir so oder so. Mein Tretlager ist mittlerweile ein wahrer Taktgeber. Knack, Knack, Knack. Nächster Halt: Rifugio Bozzo auf 2.480m. Werner pedaliert unaufhaltsam. Ich gebe ab circa der Hälfte entnervt (knackknackknack) und auch etwas geschwächt (so steil und so unwegsam) auf und trete meinen Schiebegang an. Das dauert. Gegen 17.00h erreichen wir das von nepalesischen Gebetsfahnen umwehte Rifugio Bozzo. Ich lasse einen Riesenschrei los. Irre hier. Die Kulisse, schon beim Hochschieben, ist/war gigantisch – hier oben ist die Wuchtwumme schlechthin. Meine Herren. Uuuuunnnnglaublich.

Bozzi

Zwei Bier. Jungs, sammeln, zum genießen. Wir machen ausgiebig Rast, zu zweit, allein, wieder gemeinsam. Wandern, schlendern umher. Ich muss an den Zettel meiner Frau denken: „Genieß die Zeit“. Jawohl.

18.30h. Wir wollen weiter, zum Gardasee sind es noch etliche Kilometer, wenngleich wir heute die 2.500er Höhenmeter-Schallmauer auch wieder durchbrechen werden, so haben wir doch noch ein Stückweit vor uns. Also, reißt Euch zusammen. Wir müssen hoch auf 2.630. Das heißt: 30minuten Schieben, auf extrem steilen und gerölligem Untergrund, Verschnaufpause alle 10minuten. Oben – ja, ich wiederhole mich – schon wieder ein Talkessel, der sich in seiner ganzen sonnendurchfluteten Schönheit präsentiert. Bizarre Wolken runden das Bild ab. Eintrag Logbuch: „Du brichst ab, so geil“. Unbeschreiblich. Fahrt doch selbst hin und seht es Euch an.

Der folgende Hammertrail ist gespickt mit Sonderprüfungen. Die wir allesamt meistern. Die vor uns liegende Schlucht ist unfassbar. Weiter unter, wenig später, offenbart sich der Lago Pian Palu in seiner ganzen türkisblauen Leuchtkraft. Trailigste Spitzkehren zwingen uns mitunter aus dem Sattel. Sagt mir,  wie soll ich Euch das beschreiben, wenn ich es schon fast nicht erfassen kann. Deshalb fasse ich mich kurz. Wir schieben an der Gabelung links (! – rechts ist unwegsamer und länger) und folgen dem Uferweg bis zur Staumauer um schließlich die Abfahrt nach Fonti Pejo Glücks-hormongeschwängert zu genießen. Der Abend wird gekrönt mit Vino, Tiramisu und dem Verdauen der Tagesgesamteindrücke. Geht ja fast auf keine Kuhhaut.

Die Erkenntnis des Tages: Ich muss mir nix beweisen – ich schiebe.

Die Frage des Tages: Herr – wohin mit meinem ganzen Glück?

Adresse des Tages: Albergo Sporting, via die Cavai, 38020 Peio Fonti, +39 0463 753241, albergosporting@virgilio.it, Eva Diego

Der 7. Tag – Do 26.07.

(110km !,  6h:40min, 1622 Höhenmeter)

Pejo Fonti – Dimaro – Malga Mondifra – Madonna di Campiglo – St. Antonio – Pez – Tione – Bondo – Cimego – Condino – Storo – Passo di Ampola – Albergo Marter

Frühstück. Pferde satteln. Heute müssen wir aber wirklich mal Kilometer schrubben, sonst kommen wir nie an. Wir speeden bis Dimaro ohne besondere Vorkommnisse zügig auf dem Radweg voran. Der Anstieg bis kurz vor Madonna di Campiglio ist bereits aus dem Alpencross 2004 bekannt und somit lässige Routine. Auch dieses Mal begleiten uns Heerscharen von Bikern, die von irgendeinem Transalp-Anbieter über die Berge geführt werden. Kleine Tagesrücksäckchen natürlich. Solche Warmduscher.  Ein letzter knackiger Anstieg und wir landen am Campo Carla Magna. Brotzeitplatte, zwei Radler.

Ein Trupp Idioten kommt auch vorbei, lauter Supermänner, die nicht sprechen können, aber das stört uns nicht. Weiter im Text. Tione wird anvisiert. Der Rendana Radweg führt durch liebliche Landschaft ohne jedoch spektakulär zu sein. Paßt schon so. Kilometer 85 und Zeit für eine weitere verdiente Kaffeepause in Tione sowie Strategierat über die weitere Streckenführung. Seinerzeit hatte ich mit Carolin einen Schwenk nach Zuclo gemacht, um über den Passo Duron easy am Lago di Tenno vorbei mittags am Lago final anzuschlagen. Werner strebt natürlich nach Höherem. Schließlich gilt es den Trainingseffekt zu verteidigen. Ich habe meinerseits noch das latente schwächeln meiner Tour mit Hansi 2006 im Hinterkopf, als wir es uns am letzten Tag durch Auslassen des Lago di Cei leicht machten. Doch Werner ist nicht so einer. Unbeirrt wiederholt er das Reizwort Tremalzo, welches unweigerlich noch mehr Kilometer- und letztlich auch noch mehr Höhenmeter fordert. Recht hat er ja. Doch die Lesung unserer 3 Karten, der Ausschnitte etwas unglücklich überlappend sind, macht mich kirre. Ich gehe in den nächsten Laden und kaufe die 071er von Kompass und schon haben wir einen viel besseren Gesamtüberblick und entscheiden uns natürlich – keine Frage – für die Fortsetzung unserer bisherigen 85Km Teiletappe weiter Richtung Condino und Storo, um dann den ersten Pass vor dem Tremalzo noch zu knacken. Das bedeutet weitere 30 Kilometer. Es ist bereits gut 17.00h. Mein Hintern meldet ab und an „aua-Laute“

Tempo, tempo bis Storo. Herrlich, mit Highspeed und belgischem Kreisel pusten wir uns bis Storo. Wie aus dem Nix fängt mein stellenweise stumm gebliebenes Tretlager wieder an zu knarzen, als ob Sand im Getriebe wäre. So knapp vor dem Ziel gibt es kein Pardon. Weiter.

Der letzte Pass ist irgendwie mühsam, wenngleich nicht wirklich schwer zu fahren. Das erste Albergo (ein Stern) am Abzweig zur Tremalzo Passstrasse erscheint uns als dankbare Insel – doch nach kurzem Check lautet die Botschaft: kein Camere, nix domire.

Also weitere 2 Kilometer bis zum Albergo Marter, welches wir als letztes Etappenziel nur wärmstes empfehlen können. Schließlich ist auf der anderen Straßenseite der Einstieg zum Tremalzo Aufstieg und dieser wiederum der wahrhaft krönende Beginn des Ende eines phantastischen Alpencrosses. Wenn man weiß, was man erwarten darf, nachdem man den Tremalzo aufgerollt hat.

Doch zunächst Einkehr im Albergo Marter. Die Küche ist gut, das Personal nett und freundlich und alle sind happy. Werner und schwelgen in Erinnerungen der letzten Tage und in der Vorfreude des morgigen Tages. Vino. Grappa, Spaghetti. Tiramisu. Ach.

Abends im Bettchen telefoniert Werner mit all seinen weiblichen Bekanntschaften aus grauer Vorzeit und kann aufgrund mangelnder Schlafschwere die Nacht noch etwas mit Tagebucheinträgen verlängern. Wir sind in unseren Aufzeichnungen fast ein bisschen hintendran. Zu groß die Zahl der Eindrücke, zu voll das jeweilige Tagesprogramm. Unser mentaler Speicher ist voll, die Eindrücke pulsieren durch alle Körperbahnen. Ich schlafe tief und fest und glücklich. Werner schnarcht fast nicht, vielleicht höre ich es aber auch einfach nicht.

Adresse des Tages: Albergo Marter,  Localita Ampola, 38060 Valle di Ledro, Tiarno di Spora (TN), +39 0464 596007

Der 8. Tag – Fr 27.07.

(47km, 4h:26min, 1.345 Höhenmeter, Glückometer 100)

Albergo Marter – St. Croce – Tremalzo Tunnel – Passo Nota – Passo Rochetta – Pregasina – Ponale Strasse – Riva – Eisbecher – Torbole – Windsbar

Ey. Lago-Day. Finalday. Traumtag. Wer hätte das gedacht. Ich muss gestehe, dass ich im ersten Halbjahr des öfteren Augenblicke des Zweifels hatte, dass ich nicht wusste, ob mein eher zufallsorientiertes Training wirklich für eine solche Tour ausreicht. Und nun stehe ich am Fuße des Tremalzo Rückens und muss „nur“ noch drüüüver. Egal, ob mein Lager knarzt, egal, dass 2x die Beläge Zicken gemacht haben, egal, dass der Stilfser-Rainy-Day so ein Motivationsloch verursacht hat. Heute heißt es. Ey, Lago – wir kommen, mach Dich schön –Du kriegst einen Kuss.

Der Schotteranstieg ist steil. Saftig. Gut 20% ohne jedes Warm-Up sind nicht gerade charmant, aber in Anbetracht des kurzen Intros locker zu verkraften. Nochmals nehmen wir eine Teeretappe unter die Stollen. St.Croce und etliche Kilometer später dann das Rifugio Garda unterhalb des Tremalzo´s. Auch wenn wir uns zur Einkehr fast zwingen müssen, so richtig Ruhe in uns haben wir nicht. Wir wollen weiter. Lago ruft. Noch ein Schotterband, dann geht es vermeintlich runter.

Der Tremalzotunnel präsentiert sich als optisches Schmankerl und das daran anschließende ruppigste Schotterband offenbart einmal mehr: der Lago hat seine eigenen Gesetze, sein eigenes Charakteristika. Gröbste spitzes Gestein, ausgewaschene Rinnen und Furchen machen die Abfahrt zu einer ungemütlichen schwer kontrollierbaren Angelegenheit. Was scheinbar schnell abzuspulen ist, entpuppt sich als mehrstündiger Weg durch die Wege dieses Buckels. Passo Nota, Passo Rochetta und die vielen kleinen, teils nur reifenbreiten verblockten Pfade legen nochmals – im Wortsinne – ordentlich Steine bis zur Krönung in den Weg.

Irgendwann verpassen wir sogar einen Abzweig. Glaube ich zumindest. Werner beschwört: wir sind auf dem Trail und somit im Plan. Dennoch, bis wir wirklich in den Pfad nach Pregasina einlenken können, vergeht satt Zeit und diese ist angereichert mit den schönsten Bikemomenten. Die ab und an freiwerdenden Blicke auf den Lago, die Technikprüfungen, diese 100% Natur, all das verdichtet sich im Gehirn zu einer Symphonie aus Glücksgefühl und Rausch. Ganz besoffen wird man da.

Ponale

Pregasina. Und isch sach noch: „Wenn ich einmal bei einem Alpencross über Pregasina und die Ponalestrasse nach Riva rollen darf, dann kann man das wohl nicht mehr toppen.“ Und isch sach et noch.

Pregasina. Einer jener Orte, die man einfach mal besetzt haben muss. Ein Weizenbier.

Pregasina. Obwohl irgendwie sind wir gedanklich noch auf dem Trail von eben – so intensiv war das. Seltsam. Man kennt den Weg nach oben – wenn man jedoch von Oberstorf andersrum kommt, ist alles anders.

„Werner, ich sag Dir, die Ponalestrasse ist so ziemlich das schärfste was man machen kann, wenn man von Oberstorf kommt. Denk an meine Worte und komm“.

Was soll ich sagen. die Ponalestrasse ist tatsächlich so ziemlich das schärfste was man machen kann, wenn man von Oberstorf kommt. Wir floaten geradezu im Rausch der Sinne, Tunnelblick, Lago-Panorama, Anlieger-kurven, Rivaaaaaaa wir kommen.

Als ich nach der Schranke aus dem Tunnel kommend das Hafenbecken sehe, recke, nein stoße ich mit Wucht die Faust in den Himmel und lasse einen

Gänsehautschrei®

aus meiner tiefsten Seele frei !!!!! Ich höre ihn heute noch innerlich echoten. Schönes Gefühl.

(Anm.: der Gänsehautschrei® ist meine Wortkreation, die ich nun als Warenzeichen vermarkten werde J)

proud finisher

*** Break ***

Leute, ich sag Euch. Das war einer der schönsten, I ´ve ever made. Really.

Natürlich ist der überdimensionale Cappo-Yoghurt im Hafencafe obligat und mittlerweile Tradition. Natürlich ist das Gefühl des Ankommens und des „es geschafft zu haben“ immer wieder herrlich. Wir genießen auch diesen Moment. Sind stolz, ehrfürchtig, demütig und vor allem aber glücklich.

Jedes Wort wäre nun zuviel.

Fazit:

Gibt es ein Fazit nach fünf mal Alpencross ? Ich weiß es nicht, neige aber zu der Aussage: nein, nicht im Sinne von MEHR. Fakt ist, dass kein Fazit den Inhalt als solches toppen kann. Man darf und kann und sollte es vielleicht einfach so stehen lassen. Dem ist nix hinzufügen, wie man so schön sagt. Weniger ist mehr, heißt es doch.

Und so überlasse ich das gedankliche Fazit dieser Lektüre dem geneigten Leser (immerhin gibt es eine kleine wachsende Zahl, die sich über die Veröffentlichung dieser mittlerweile schon regelmäßig erscheinenden Jahresausgabe freut und diese mit Spannung verfolgt) und will nur folgendes noch loswerden:

Nach dem Cross ist vor dem Cross. Es ist wie ein Virus. Jedes neue Frühjahr ist geschwängert von nagendem Zweifel, von der gedanklich formulierten Feigheit es vielleicht nicht schaffen zu können. Und jeder Frühsommer ist getränkt mit Lust, mit der Freude am Fahren (ok, das Original ist anders besetzt), mit dem Kribbeln in den Schenkeln und mit der wachsenden Bräune der Wadeln.

Und alle Jahre wieder rappelt man sich hoch, widersagt der Kanapee-Ostwand, der Bildzeitungs-Lektüre um sich ab und an zu schinden und sich anschließend wahrhaft sauwohl zu fühlen. Für was das alles ? Für kein Geld der Welt. Sondern nur für SICH ganz allein. Für das körpereigene, innere Glückshormon-Schatzkästchen.  Das kann einem keiner nehmen. Niemand. Niemals.

Und weil das, genau das, immer wieder aufs Neue schön und erfüllend ist, genau aus diesem Grunde wage ich heute die mutige und schon fast selbstverpflichtende Prognose:

Cross Nr.6 komm nur – ich werde wieder auf den Trails dieser Alpenwelt mein Glück suchen.