Rolle vorwärts ! 8 Bikepacking-Handlebar-Packs im Test

Teil 3 unserer Bikepacking-Test Serie. Nach den Rahmentaschen und den Satteltaschen steht nun die Front im Fokus: die Lenkertaschen, neudeutsch Handlebar Bags. Neben den weitläufig bekannten klassischen Systemen einer Lenkertasche (z.B. die Ortlieb Ultimate) erobern zunehmend die Bikepacking Rollen den Markt. Das Prinzip ist ebenso simpel wie clever. In der Regel ist ein wasserfester Sack das Kernstück des Systems. Manche dieser Packsäcke werden mittels Riemen und Abstandshaltern direkt an den Lenker gezurrt (z.B. Ortlieb und Apidura), andere wiederum haben eine Art Aufnahmegeschirr, sogenannte Harness Systeme (u.a. Revelate Design, VauDe, Salsa, …). Dieses Geschirr bietet den Vorteil, dass der Packsack schnell entnommen und zum Einsatzort gebracht werden kann, bei den anderen Lösungen müsste man erst alles wieder demontieren oder den Inhalt direkt vom Lenker entnehmen. Je nach Anwendungsfall (und wohl auch Packinhalt) mag jeder seine Präferenzen individuell setzen. In der Regel findet sich an der Front leichteres, gut „stopfbares“ Gepäck, also z.B. der Schlafsack, die Isomatte oder auch ein (leichtes) Zelt oder die warme Kleidung für den Abend.

Der Markt und das Angebot zum Thema ist mittlerweile riesig. Neben einer Vielzahl von Herstellern (siehe Karten im Infokasten) gibt es dementsprechend auch eine wirklich schöne Auswahl an unterschiedlichen Lösungen. Puristen setzen auf minimalistische Konzepte (z.B. Gramm), die sich womöglich auf einen „nackten“ Sack beschränken. Andere wiederum freuen sich über Baukasten-Lösungen, die auch zusätzliche Taschen, gerne Accessoire Packs genannt, aufnehmen und auf den Kleinkram (Geldbeutel, Snack, Werkzeug, …) unterwegs schnellen Zugriff ermöglichen (z.B. Ortlieb, Salsa, …). Farben, Materialien und Formgebung sind ebenfalls breit gestreut: vom XL Packsack bis hin zum kleinen Beutel hat der geneigte Abenteurer in Spe eine große Auswahl. Ob robustes Cordura, haptisch leichtes Polyester oder wertige Stoffe: der Anwender hat die Wahl. Auch farblich ist mittlerweile die Auswahl tatsächlich bunt: vom klassischen schwarz bis Camouflage über div. Farbtöne ist viel geboten.

Potpurri

So fällt es auch im Teil unserer Test Serie schwer eine eineindeutige Empfehlung abzugeben, oder den EINEN Sieger zu benennen. Dafür sind die Ansprüche der Bikepacker zu verschieden. Einer kurzen Tagestour liegen andere Kriterien zugrunde als einer mehrtägigen Reise, die sich aber wiederum maßgeblich von den Anforderungen einer Weltumrundung abgrenzt. Die Punkte und last but not least der Preis in nachstehender Tabelle geben aber verlässliche Anhaltspunkte für die Kaufentscheidung.

Eines eint jedoch alle gleichermaßen: Wetterfestigkeit und Robustheit stehen im Anforderungskatalog ganz oben. Wer mehrere Räder sein Eigen nennt, wird über Montagefreundlichkeit erfreut sein und ebenso wichtig ist ein guter Zugriff auf den Inhalt – zu eng genäht verdirbt schnell die Freude am System.

Wie haben wir bewertet? Die vorliegenden Modelle haben geringfügig unterschiedliche Kapazitäten (Größenangaben im Testbrief). Die Größe ist daher kein testrelevantes Kriterium. Neben dem Preis-Leistungsverhältnis beurteilen wir: Wasserdicht oder „nur“ wasserabweisend, Funktion der Materialien, vor allem aber die Montagfreundlichkeit des Systems und die Robustheit für den rauen Einsatz draußen, last but not least: die Ausstattung. Gibt es außenliegende Bänder für den schnellen (zusätzlichen) Zugriff? Können optional weitere Taschen befestigt werden? Wie lässt sich die Tasche beladen, wie gut halten die Fixierungspunkte, schaukelt das System unkontrolliert am Lenker oder beeinträchtigt es gar den Fahrbetrieb? Im Ergebnis gibt es keine wissenschaftliche Ermittlung, sondern eine praxisnahe „Bike Adventure“ Empfehlung der Redaktion.

Grundsätzlich gilt natürlich auch: je größer das geplante Abenteuer, desto mehr Stauraum ist erforderlich, je kürzer der Trip, desto eher geht auch eine minimalistische Lösung. Die meisten Hersteller bieten daher unterschiedliche Modelle und Komplettsysteme an. Ergänzend zum Setup mit Satteltasche und Rahmentasche ist man sowohl für ein Micro Adventure als auch die große Runde allemal perfekt gerüstet – egal ob man mit welchem Biketyp man unterwegs ist.

In der Infobox haben wir eine weitere Auswahl der bekanntesten Anbieter zusammengestellt. Deren Websiten geben sehr gut Auskunft über die gängigen Systeme und Stauraum-Möglichkeiten.

Wer sich für das Thema Equipment und wo bekomme ich auf der Welt welche Taschen interessiert, der wird sich über diese „Taschen-Weltkarte“ freuen:(Karte von www.bikepacking.com.) Teil 4 meiner Testserie wird im demnächst noch die vielen „kleinen Helferlein“ unter die Lupe nehmen und finale Tipps für Euer Bike Adventure geben. Viele Hersteller bieten optional noch Oberrohrtaschen, Triangeltaschen, Lenkerbeutel und vieles mehr an, dadurch wird der Rucksack dann endgültig entbehrlich und dem Microadventure oder der Weltumrundung steht nichts mehr im Wege.

Ortlieb – grau und gut

Wasser marsch – und nix passiert. Ortlieb hält dicht. Das war schon immer so und das bleibt auch beim Handlebarpack so. Die große Ortlieb Rolle, es gibt sie neuerdings auch in der aus meiner Sicht praktischeren Größe S, ist wahrhaft voluminös. Die steckt was weg. Die Montage geht relativ fummelfrei vonstatten, Zwei Riemen für die Vorspannung, nochmal zwei darüber und fest sitzt das Ding. Die klassischen Rollverschlüsse an beiden Enden erlauben – je nach Lenkerbauart – die Maximierung / Minimierung des Packungsinhaltes.

Optisch in klassischen Ortlieb grau mit orange farbener Applikation kommt die Ortlieb frisch daher. Die Gummibänder an der Oberseite erlauben auch mal eben schnell die „Ablage“ einer verschwitzten Windweste oder ähnlich leichter Kleidung – sofern keine Accessory Pack montiert ist. Diese lässt sich ebenso schnell ins System integrieren und bietet gut Platz für die Dinge, die man an der Front gerne direkt im Zugriff hat. Stimmiges System in gewohnt bester Qualität made in Frankenland, Germany.

Ortlieb

Salsa – Ein Set für alle Fälle

Kompakt im Set. Scharnier, 2 + 4 Schrauben, Packsack, Gurte, und kleine Zusatz-Packtasche – alles drin, alles dran. Sehr solide verarbeitet, haptisch wertig und in der Funktion stimmig. Die Montage geht ruckzuck vonstatten. De Frontblende macht einen sehr robusten Eindruck und man zweifelt keine Sekunde, dass das System schwächeln könnte – im Gegenteil: hier kann alles dran. Sehr stabile Konstruktion – vorausgesetzt der Lenkertyp (und Durchmesser) passt (Carbonlenker sind m.E. nicht geeignet).

Die Zusatztasche ist etwas knapp geschnitten, also z.B. für Fotoapparat und Co. nicht besonders gut geeignet, für das übliche Kleinzeug jedoch prima. Die Fronttasche verfügt zudem noch über Gummi-Straps, die ebenfalls Weste oder Landkarte bereitwillig aufnehmen. Die Zurrgurte können über den Halter geführt werden und sitzen somit unverrückbar und sehr zuverlässig.

Ein tolle Lösung im Set (auch einzeln zu kaufen) in sehr solider Ausführung. Mein persönliches Highlight im Test – und im Ranking der reinen Lenkertaschen auch der verdiente Testsieger.

Salsa

Acepac –  Tasche einmal anders

Die Acepac kommt in dezentem schwarz daher, wobei sie auch in anderen (frischen) Farben lieferbar ist. Die Bar Bag ist jedoch keine klassische Lenkerrolle mit viel Volumen, sondern – ebenso wie die Lösung von Gramm – in diesem Test ein Sonderfall. Klein und praktisch, funktional und haptisch sehr wertig macht die Tasche am Lenker aber eine gute Figur. Außen wasserabweisend, innen eine wasserfeste Innentasche.

Schön im Design und in der Anwendung sehr praktisch ist die Acepack sicherlich auf kleinen Touren ein sehr nützlicher Begleiter – nimmt die Tour, und damit der Platzbedarf, an Umfang zu kann die Bar Bag auch optional auf eine Lenkerrolle (Acepac oder jede beliebige) geschnallt werden und fungiert somit wie die sogenannten Accessory Packs.

Fazit: ein schöne, wertig, aber dennoch günstige Tasche. Ideal für die Tagestour packt sie den üblichen Kleinkram, vom Schlüsselbund bis hin zur Geldbörse oder die kleine Kamera souverän weg.

AcePac

Gramm – 3-1 Packsack

Einmal mehr in unserer Testserie: die Firma Gramm aus Berlin. Eigenständig in der Optik, eigenwillig im Konzept. Der 3-1 Packsack ist keine klassische Lenkertasche. Er gehört in die berühmte Kategorie der eierlegende Wollmilchgattung – der Name kündigt es schon an. Einsetzbar als Packsack für den Gepäckträger, schnell montiert an der Gabel oder am Rack mittels Spanngurt ist er auch Stauraum vorn bzw. hinten. Natürlich lässt sich der Packsack auch am Sattel und/oder eben am Lenker befestigen. Eine schlanke, aber stabile Rückenplatte sorgt für Stabilität.

Mit 8 Liter Fassungsvermögen kein Raumwunder, reiht sich aber gut ins Testfeld ein. Der große Vorteil liegt jedoch im Gewicht. Ganze 220g ruft die Waage auf – ein Traumwert und somit erste Wahl für „Gramm-Fuchser“. Material und Haptik sind in gewohnter Gramm Qualität, also sehr hochwertig verarbeitet. Der 3-1 Sack kann, Gramm typisch, in individuellen Farben geordert werden. Kurzum: Funktion und Style auf höchstem Niveau, ein klarer Tipp für Freunde der Individualität. Gramm leistet sich in keiner Disziplin einen Punktabzug und ist daher „eigentlich“ der Testsieger – unter der Maßgabe „reine Lenkertasche“ ist diese Aussage jedoch zu relativieren.

Fazit: wer einen Packsack für div. Anwendungen benötigt und nur gelegentlich eine Lenkerrolle montieren mag, hat hier die perfekte Lösung gefunden.

Gramm

Revelate Design – Abenteuer Kit

Einmal mehr glänzt Revelate in bester Qualität. Das System ist über jeden Zweifel erhaben. Ausgeführt als Harness-System besteht der Revelate Umfang aus drei Teilen (jeweils einzel erhältlich). Packsack, Harnessgeschirr und Fronttasche. Alles perfekt aufeinander abgestimmt und sehr gut in der Handhabung.

Das Geschirr hat eine 3-lagige Schaumstoffkonstruktion. Da verrutscht nix Fiberglass Querstreben sorgen für Stabilität. Maximale Zuladung 6,8kg (!) bei einem Eigengewicht von 255g. Der Packsack ist wasserdicht und besteht aus doppelt beschichtetem 210 Denier TPU-laminiertem Nylon sowie verschweißten Nähten. Manta Flaps bieten zusätzliches externes Packvolumen mit zwei Schlaufenleisten für individuelle Packkonfigurationen.

Die Egress Pocket ist ebenfalls wasserdicht und durch das rote Innenleben auch visuell sehr gut handhabbar. Das alle drei Komponenten perfekt „zusammenspielen“ mag bei einem BikePacking-Profi wie Revelate Designs wenig überraschen.  

Revelate

Blackburn – einmal montiert ein tolles System

Die Blackburn kommt mit einem Lenkerhaltersystem (25,4mm oder 31,8mm) daher – ähnlich einer Ortlieb Lösung. Die Montage mit Schräubchen und Beilaggummis ist etwas fummelig und nicht so schön gelöst wir bei Salsa. Einmal montiert lässt sich das Geschirr samt Packsack aber rasch entfernen bzw. wieder montieren. Der Drehverschluss verriegelt zuverlässig und sichert die Ladung. Allerdings ist die Blackburn Lösung nicht für Carbon Lenker geeignet.

Der Packsack aus 70D Nylon in 4 mm Ripstop Ausführung hat eine wasserabweisende Funktion. Er ist groß und großzügig geschnitten und nimmt ordentlich Ladung auf.

Einmal mehr bietet Blackburn aber auch hier wieder ein Top-Preisleistungsverhältnis und wird somit insbesondere die Gelegenheits-Bike-Packer sehr zufriedenstellen. Alles in allem – einmal montiert – ein stimmiges System.

Blackburn

VauDe – Mulitfunktionslösung

Die VauDe Bike Packing Serie ist auch beim dritten Teil unserer Testreihe vertreten. Einziger Kritikpunkt auch hier wieder die etwas sehr starren Befestigungsbänder und Widerhaken – hier hat die Konkurrenz bessere Lösungen parat. Allerdings glänzt VauDe wie auch schon bei den Rahmen- und Satteltaschen mit einer Top Nachhaltigkeitsbilanz. Die VauDe Trailfront ist mit Eco Finish umweltfreundlich wasserabweisend ohne Fluorcarbone (PFC) hergestellt. Das VAUDE Green Shape-Label steht für ein umweltfreundliches, funktionelles Produkt aus nachhaltigen Materialien.

Der Clou des Systems ist die Option das Halte-Geschirr samt Packsack mittels Riemen auch locker über der Schulter getragen für kurze Distanzen als Rucksack zu nutzen. So wird der Gang zum etwas exponiert liegendem Zelt ein leichter. Mit 19L Volumen und einem sehr günstigen Preis macht die VauDe in der Preis/Leistungswertung Punkte. Der Packsack ist wasserdicht und eine Regenhülle ist somit – wie bei den anderen Systemen auch – natürlich entbehrlich. Mit 700g Gramm Gewicht jedoch nur im Mittelfeld.

VauDe

Infobox: Wer liefert Bikepacking-Taschen.

Acepack – http://www.acepac.bike/

Apidura – https://www.apidura.com/

Blackburn – https://www.blackburndesign.com/en_eu/

Gramm – http://www.gramm-tourpacking.com/

Missgrape – http://www.missgrape.net/

Ortlieb – https://www.ortlieb.com/de/

Porclain Rocket – https://porcelainrocket.com/

Revelate Design – http://www.revelatedesigns.com/

VauDe – https://www.vaude.com/de/

Restrap –

Kommentar

Sonderfall Gramm sichert sich die volle Punktzahl, bietet mit der 3-1Bag jedoch keine reine Lenkertasche und somit ein wenig als Sonderfall zu betrachten. Die übrigen System Mitbewerber sind konzeptionell stimmig. Egal ob direkt am Lenker montiert oder mit einem sogenannten Geschirr abkoppelbar. Salsa überzeugt mit einem im Wortsinn rüttelfesten Konzept und ist der Testsieger nach Punkten. Dicht gefolgt von Ortlieb, die mittels Abstandshalter etwas leichter baut und berühmt ist für die Wetterfestigkeit. Die Profis von Revelate schlagen ziemlich ins Portmonees, bieten aber erstklassige Funktion und Qualität. Auch Blackburn und VauDe überzeugen mit ihren (günstigen) Lösungen, sind jedoch in der Erstmontage nicht ganz so souverän wie die übrigen Kandidaten. MS-X bietet eine altbewährte Klickfix Methode und macht somit auch alles richtig – hat darüber hinaus sogar noch viele Farbvarianten im Angebot. Alles in allem ein dicht gedrängtes Kopf an Kopf Rennen – bei dem jeder seinen persönlichen Liebling je nach Anwendungsfall finden kann. Keine der Protagonisten leistet sich echte Schwächen.

© Udo Kewitsch, Aug 18 / Zeichen 15425 / Zeilen 277