Projekt „Go North“ – einmal bis ans Salzwasser (Haustüre – Norderney)
Es war ganz einfach. Zur Wahl standen die Himmelsrichtungen.
Süd – nach Rom
Ost – nach Dubrovnik
Nord – nach Ostfriesland
West – Richtung Frankreich.
Ein paar Tassen Kaffee und zwei Kuchenstücke später war die Entscheidung getroffen. Wir heben das Projekt Go North aus der Taufe. Einmal quer durch die Republik, einmal hoch nach Ostfriesland. Das klang wie ein Plan, das war ein Plan, der geschliffen werden wollte. Das war im Januar 2025. Heute, im Juni ist das Projekt erfolgreich abgeschlossen und gerne nehme ich die Leser mit auf unsere schöne Reise durch Deutschland.
Charmant ist eine Abreise, wenn man der Urlaub an der Haustüre beginnt, in diesem Falle Siegsdorf, Oberbayern. Aus unserer groben Idee („nach Norden“) wurde im Laufe des Frühjahrs ein konkret ausgefeilter Plan, der sich an Radwegen, Flussläufen, vor allem aber abseits der Bundesstraßen orientierte. Auf der Karte war dies nahezu eine schnurgerade Linie in Richtung Nordsee. Perfekt.
Gut 1.100 Kilometer und knapp 7000 Höhenmeter und 14 Rad-Tage lagen vor uns. Bayern, das Frankenland, Hessen, Nordrhein-Westfalen und schließlich das flache Niedersachsen. Das Wetter konnten wir nicht planen, nur herbeibeten und soviel sei verraten: unsere Gebete wurden erhört.
Bayern. Dies dürften den meisten (einheimischen) Lesern nur allzu vertraut sein. Dennoch ein paar Worte dazu. Hier wächst der gelbe Raps, hier haben wir saftig grüne Weiden und zwischen alle dem liegen jede Menge Hügel, mal mehr, mal weniger flach. Unsere Planung führt uns von den Alpen weg, aber der Blick zurück bleibt lange möglich. So kommen wir über das schöne Mühldorf bis ins imposante Landshut zügig vorwärts. Der Landshuter Dom, die St.Martins Kirche, ist insofern eine Erwähnung wert, da sie mit 130m Höhe der größte Backsteindom weltweit (!) ist. Nebenan tobt die Landshuter Dult, die wir links liegen lassen und weiter ins fränkische vorstoßen.

Franken. Auch hier erwarten uns historische Bauten, allen voran, die Burg zu Nürnberg. Der Umstand, dass wir an ihrem Rücken vorbeiradeln, erzwingt einen obligatorischen Stopp. Wir pedalieren bis in den Burghof hinein, ohne aufgehalten zu werden und bestaunen die eindrucksvollen Gemäuer, der Weg über Erlangen hinaus wird dann zunehmend sanfter und entlang der Regnitz gehört die Natur wieder uns. Die Städte liegen hinter uns, nun streifen wir Wald und Wiese, Weiher und Dörfer. Immer noch summieren sich die Höhenmeter unserer circa 80-90Kilometer langen Tagesetappen gut auf, aber verglichen mit den steilen Bergpässen der Alpen hat dies nix mehr zu tun. Auch unser Halt in Bamberg offenbart historische Gebäude und prächtige Bauwerke, allen voran der Bamberger Dom, der mit seinen vier imposanten Türmen Weltkulturerbe ist.

Hessen. Kennt ihr Hessen? Für mich bestand Hessen bisher aus Frankfurt und Appelwoi, beides weder schön noch lecker. Unsere Reise sollte mich neu „einnorden“. Hessen ist toll, Hessen ist schön, Hessen ist eine (Rad)Reise wert. Entlang der Fulda absolvieren wir den wohl schönsten Teil der Reise. Flora und Fauna allerorten. Fuchs, Biber, Reiher und Störche. Die Fulda fließt ruhig und sanft in naturbelassenen Kurven durch die Auen und – nebenbei bemerkt – die Sonne strahlt täglich unverändert und unbeeindruckt ob unseres Vorankommens. Gelegentlich sorgen imposante reinweiße Quellwolken für schöne Fotomotive. Es folgt eine wahre Flut an kleinen oder mittelgroßen Orten, die mit ihren Fachwerkbauten um die Wette posieren. Häuser die zu Zeiten gebaut wurden, als man einen rechten Winkel noch nicht die Bedeutung wie heute beimaß. Manchmal krumm und schief, aber sie stehen immer noch und sie machen wahnsinnig was her. Klasse. Fritzlar, Herford (Efze) und so manch anderer Ort entlang unserer Route wäre für sich allein schon mal ein tolles Ausflugsziel. Wer seine Tour abseits der Alpen plant kommt quer durch Deutschland automatisch über die Rhön. Uns zack, da sind sie wieder die kräftezehrenden Buckel.

Nordrhein Westfalen. NRW kündigt sich mit einer Tafel an, wobei, streng genommen sind wir in Ost-Westfalen, klingt etwas sinnfrei, stimmt aber. Ab hier verlässt uns die Schönheit des Frankenlandes und der hessische Charme und es geht nahtlos in etwas rauere Umgebung. Die Gebäude werden zweckmäßiger, auch die eine oder andere Schweinefarm überzeugt uns olfaktorisch nur wenig. Trotzdem gibt es auch in Ostwestfalen Dinge zu bewundern. So sind zum Beispiel die Extern-Steine vor den Toren Detmolds ein lohnender Besuch für all jene, die sich am (sächsischen) Elbsandstein Gebirge bereits sattgesehen haben. Wir lassen auch Bielefeld links liegen (weil es Bielefeld ja eigentlich auch gar nicht gibt – siehe Wikipedia) und Osnabrück hat mich ohnehin noch nie interessiert. So bleibt NRW für mich auf dieser Tour der unaufgeregteste Teil der Tour, sieht man einmal von der Tatsache ab, dass wir eine sehr gute alte Jugendfreundin aus Teenagerzeiten hier besuchen dürfen.

Niedersachsen – Nordsee. Endspurt. Flaches Land. Man könnte meinen, ab nun geht es zügig(er) voran. Mitnichten. Ab nun an bläst uns der niedersächsische Wind auf bügeleisenglatten Wegen entgegen. Mit teilweise Windgeschwindigkeiten von frontal 40km/h kämpfen wir darum Meter um Meter (und es sollten noch 3x 80km sein) vorwärts zu kommen. Das ist nicht nur äußerst mühsam, sondern vor allem extrem unangenehm, sieht man seinen Gegner einfach nicht, der da pustet und einen aufhält. Dann doch lieber die Berge hoch. Aber uns fragt ja keiner und den Plan haben schließlich wir selbst gemacht. In diesem Teil des Landes ist es flach und weitläufig. Der geflügelte Witz, man sieht vormittags bereits wer Nachmittag zu Besuch kommt, erhält hier seine Wahrheit. Weiden soweit das Auge blickt. Kühe, Pferde und vereinzelte Höfe sind die einzige Abwechslung, zusätzlich zum Wind.
So kämpfen wir uns Kilometer um Kilometer vorwärts, zum Schluss auf der windigen Deichkrone, dass Ziel im Blick, aber scheinbar unerreichbar in der Ferne. Der Umstand, dass wir trotzdem gut in der Zeit sind (wir sind einen Tag früher als geplant gestartet) erlaubt uns die Tour zu verlängern und ein Sahnehäubchen draufzusetzen. Wir definieren die Norderney als Endziel und verbringen zwei wunderbare Tage auf dieser kleinen Insel.
Fazit: unser Land ist bunt und vielfältig, reichhaltig und alles andere als langweilig. Hessen war überraschend toll, Niedersachsen herrlich flach aber furchtbar windig. Die Nächte im Zelt ein Traum und der Kaffee vom Gaskocher jeden Morgen in Kombination mit dem selbstgeschnippeltem Müsli eine Quell der Freude. Ich erspare Euch die Erzählung einer sturmgepeitschten und regenprasselnden Nacht am Norddeich, verrate aber, dass der Himmel des Morgens wieder freundlich auf uns herabblickte. Insofern haben wir mit unserer Ost oder West, Nord oder Süd Fragestellung mit GoNorth die genau richtige Entscheidung getroffen.
*** © Udo Kewitsch, Jun25 / Zeichen 6986 / Zeilen 88 ***

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