Hoch hinaus

Es ist nicht immer nur das Rad, welches fasziniert, es sind mitunter auch die Höhen und vor allem die Abenteuer. Diese sind vielschichtig. Vor Jahren traf ich Stefan Glowacz das erste Mal auf einem Jack Wolfskin Event, später dann bei einer spannenden Veranstaltung im Trentino und hatte dort Gelegenheit mit dem Abenteurer (der zudem ein wunderbares Vorwort zu meinem Alpencross Buch Band1 verfasst hat) zu sprechen. Die Moral von der Geschichte einmal mehr: es kommt nicht darauf an, wie hoch, wie weit, wie schnell, wie verrückt – einzig und allein ist das man es TUT – jeder für sich im Rahmen seiner Möglichkeiten und vielleicht auch manchmal ein Stück darüber hinaus. Aber lest selbst, was Stefan zu sagen hat.

Ein Interview, seinerzeit im wunderschönen Arco, Trentino

Mein Vater hätte gesagt „Junge, mach den Mund zu, sonst kommt Luft rein“. Tatsächlich, atemlos lausche ich dem Vortrag von Stefan Glowacz anlässlich des Sport Scheck Testivals im wunderschönen Trentino vor der herrlichen Kulisse des Kletterfelsen und der Boulderwand in Arco. Stefan Glowacz, Jahrgang 1965, eine der herausragenden Persönlichkeiten des Klettersports seit nunmehr Jahrzehnten, versteht es, dass Publikum zu fesseln und dabei doch ganz authentisch zu bleiben. Keine Show, keine Effekthascherei, sondern sein Erzählstil und natürlich seine unglaublichen Abenteuer sind die Zutaten, die dafür sorgen, dass nicht nur mein Mund, sondern auch die Münder der rund 300 anderen Anwesenden vor Staunen offen stehen.

Udokah: Was fällt Dir ein, wenn das Stichwort „Chiemgau“ fällt ?

Stefan Glowacz: grinst und antwortet: sehr viel. Der Chiemgau ist meine Heimat, hier bin ich geboren, hier habe ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht. Geboren bin ich in Tittmoning, dann haben wir fünf Jahre in Traunreut gelebt, bevor die Eltern in den Raum Garmisch zogen, wo ich heute noch mit meiner Familie lebe.

UDOKAH: Wie fing alles an, wo hat die Leidenschaft ihre Wurzel?

Stefan Glowacz: Ganz harmlos, die Eltern nahmen mich immer mit zum Wandern und eines Tages bekam ich zu Weihnachten einen Eiskletterkurs geschenkt. Es hat nicht lange gedauert bis ich gemerkt habe, dass das kein Sport für mich ist. Ein Jahr später bin ich dann mit 12 Jahren an die Naturwände gegangen und habe sofort gespürt: das ist es. Seither ist es eine Leidenschaft, die ihren Ursprung in der tiefen Naturverbundenheit hat.

UDOKAH: Was macht die Faszination „Klettern“ aus?

Stefan Glowacz: Das kann man nicht allgemeingültig beantworten. Der eine hat diese Sichtweise, bei mit steht das Naturerlebnis im Vordergrund. Das Sportklettern kam erst später, nach 8 Jahren Wettkampf und den teilweise weniger schönen Erfahrungen mit den Funktionären war für mich dieses Thema abgeschlossen. Seither, also seit etwa 1998, sind es die Expeditionen, das Abenteuer das mich reizt und antreibt. Draußen sein. Das was du da draußen selbst erfährst, kannst Du dir nicht kaufen. Man wird viel gelassener.

UDOKAH: Die Eiger Nordwand lief erfolgreich im Kino. Hat Dir der Film gefallen? Waren die Berchtesgadener Toni Kurz und Andi Hinterstoisser unvernünftig?

Stefan Glowacz:Ich habe mir den Film angesehen. Ich war beeindruckt von den Bildern aus der Wand und wie geschickt sie kombiniert wurden mit den Studioaufnahmen. Die Liebesgeschichte fand ich mehr als überflüssig vor allem den Schluss. Das hat so etwas von King Kong und die weiße Frau. Auch die Charaktere fand ich oberflächlich gezeichnet und ziemlich klischeehaft. Jede Szene von Toni Kurz war meiner Meinung nach überspielt, immer etwas zu dramatisch und tragisch. Luis Trenker hätte seine Freude an diesem Film gehabt. Aber er hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt für das Thema Extrembergsteigen und das ist für unseren Sport sehr positiv.

UDOKAH: Was hat sich im Vergleich zu 1936 verändert. Ist es nur das Material oder auch die Routen, die Bergsteiger (Stichwort Bergtourismus) selbst oder auch die immer höher gesteckten Ziele – Stichwort „speed climbing“?

Stefan Glowacz: Natürlich hat die Entwicklung moderner hochtechnischer Ausrüstung entscheidenden Einfluss auf die Kletterei im Toplevel. Die Ausrüstung wird immer leichter, robuster und immer raffinierter. Dadurch sind Unternehmungen möglich geworden, die vor 20 Jahre noch undenkbar gewesen wären. Der Faktor Geschwindigkeit spielt beim Bergsteigen und Klettern in großen Wänden und entlegenen Regionen eine entscheidende Rolle und somit auch modernste Ausrüstung.

UDOKAH: Das Thema Bergsteigen und auch Extremsport ist einmal mehr in aller Munde. Focus, Wirtschaftswoche und der Stern titeln mit Schlagzeilen wie „Todessehnsucht“. Welche Gefühle lösen solche Schlagzeilen bei Dir aus?

Stefan Glowacz:Die Kletter- und Bergsteigerei wird sich immer mit diesen Klischees auseinandersetzen müssen. Damals war es die „Mordwand“, heute ist es die „Todessehnsucht“. Es gibt aber keine allgemeingültige Begründung warum Menschen auf Berge steigen und durch die steilsten Wände klettern. Jeder sucht dabei etwas anderes, der ein oder andere sicher auch das Spiel mit der Todesgefahr. Genau das sind die Themen die die Presse interessiert. Ich erlebe dies immer wieder selbst. Die erste Frage von Journalisten nach einer erfolgreichen Expedition lautet: „….und was ist euch passiert?“ Erst wenn einer mit dem Kopf unter dem Arm zurückkehrt ist das eine Schlagzeile in einem Massenmedium wert. Es ist um ein vielfaches schwieriger, die Menschen für die Umstände zu interessieren, die verantwortlich für eine sichere und erfolgreiche Expedition waren.

UDOKAH: Die Nordwand. Mythos oder Schicksalsberg? Und wenn die Antwort „weder noch“ lauten sollte, welcher Berg ist es in Deiner Wahrnehmung dann?

Stefan Glowacz:Natürlich haben namhafte Wände wie die Eiger Nordwand, der Cerro Torre, Fitz Roy oder der Trango Tower eine ganz besondere Anziehung. Ich habe das Buch „Die weiße Spinne“ von Heinrich Harrer  über die Erstbegehungsgeschichte der Eiger Nordwand verschlungen, das war damals meine Bibel. Aber auch die Bücher von Reinhard Karl haben mich sehr geprägt. Ich wollte unbedingt einmal unter diesen Wänden stehen. Wenn es dann tatsächlich so weit war, dann spürte ich diesen Mythos dieser Wände sehr wohl. Ich erinnerte mich, welche Dramen sich an diesen Orten abgespielt haben. Das lässt keinen Kletterer kalt.

UDOKAH: Apropos „kalt lassen“, wie geht jemand, der in einer bis zu 1000m hohen Steilwand hängt, mit dem Thema „Angst“ um.

Stefan Glowacz: Angst macht sensibel. Man muss die Angst zerlegen, in die einzelnen Aspekte. Ein Beispiel: bei unserer Expedition Baffin Island hatten wir „Angst“ uns keinen Iglo bauen zu können. Was brauchten wir ? Eine Eissäge. Ohne Eissäge wären wir der Gefahr ausgesetzt gewesen, durch die Ergänzung des Gepäcks um eine Eissäge ist die Angst vor diesem Aspekt hinfällig. So geht es uns bei vielen kleinen Punkten, die wir akribisch in unserer Vorbereitung planen und abarbeiten. So bleibt am Ende nicht mehr viel Angst übrig – wichtig bleibt allerdings auf seine Ängste zu hören und aufmerksam zu bleiben.

UDOKAH: Du hast drei Wünsche frei.

Stefan Glowacz (lacht): Ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Was will man mehr? Das meine Kinder geborgen sich in einem guten Umfeld entwickeln und gesund bleiben und das mein Material noch so lange hält, dass ich noch ganz lange auf meine Reisen gehen kann.

Es gäbe noch viel zu erzählen von dem Menschen und Kletterer Stefan Glowacz, man könnte noch stundenlang über des „Kaisers neue Kleider“ (10.Schwierigkeitsgrad) sprechen. Jene Erstbegehung des Wilden Kaisers, die Stefan über 3 Jahre lang akribisch und fast besessen ausführte und die seither erst 2x von anderen Seilschaften wiederholt wurde. Von seinen Expeditionen in Patagonien, in Baffin Island oder Vietnam. Von seinem Trainingspensum, seinem Privatleben, welches er mit seiner Frau und seinen Drillingen (!) zwischen all seinen Aktivitäten intensiv teilt. Von seinen neuen Plänen. Von seinem Magazin, dass er herausgibt und den vielen spannenden Reisen, die er gemacht hat und auch noch machen wird, bei denen auch Tibet zählte. Hierzu sagt Stefan jedoch, bevor ich zu einer Frage ansetzen kann: „Ich gehe dorthin, weil ich die Leidenschaft habe, nicht weil ich ein politisches Signal setzen will“. Man könnte noch viel schreiben, über die Ästhetik der Wände  und über seine zahlreichen Vorträge, die immer wieder mal im gesamten bayrischen Raum stattfinden.

Man könnte …. wenn einem nicht der Mund vor Staunen so weit offen stehen würde.

*** (c) Udokah ***