Der Kofferraum im Bike

Es gab einmal Zeiten, da galt für ambitionierte Bike-Abenteurer ein Six-Pack als das Maß aller Dinge, als obligatorisches Mittel zum (Reise)Zweck. Nein, gemeint ist nicht der muskulöse (Waschbrett) Bauch des Bikers, schon gar nicht die Bierdosensammlung, sondern vielmehr das Taschenkonzept: zwei vorne, zwei hinten, eine hinten quer sowie die Lenkertasche – fertig war die Stauraumlösung. Erprobt und jahrzehntelang bewährt auf zigtausenden von Rad-Abenteuer-Kilometern. Es war einmal, bedeutet in gewisser Weise tatsächlich aber auch: das Thema ist in Bewegung. Die Six-Pack Lösung ist nicht mehr das Maß aller Dinge für jede Form von Fahrradtour.

was Mann alles so braucht

Eine neue Generation von Taschenlösungen ist im Anmarsch. Der klassische Radwanderer erobert sein Terrain zunehmend abseits der Hauptschlagadern, er fährt gerne auch mal ins Gelände und ist auf Schotterwegen und auch mal unwegsamen Geläuf unterwegs. Mit der Six-Pack-Lösung kommt der sportive Biker dann nicht mehr (ganz so) komfortabel vorwärts. Das Gewicht zieht an den Seiten, das Bike baut breit(er), manchmal schwingt das System etwas auf und verliert an somit Stabilität. Der Mountainbiker hat gelernt, dass ein Rücken auch mal schmerzen kann. Es kann also von Vorteil sein, wenn man zwar auf einen Rucksack aber nicht auf ein sportives Handling verzichtet. Dies ist die Stunde der Bikepacking Szene.

Bikepacking ist an und für sich weder eine neue Sportart noch ein gestern erst erfundener Trend. Es vielmehr das moderne Schlagwort für eine wunderschöne Form von Abenteuer. Teil dessen ist das Packkonzept. Zu diesem Konzept gehören vor allem auch die Rahmentaschen, die sich mittlerweile in großer Auswahl im Markt finden lassen. Wir haben einige Modelle auf Praxistauglichkeit getestet und wollen nachstehend die besten Aspiranten gegenüberstellen.

Zusammenfassend sei gesagt: das Testfeld bietet nur einen kleinen Überblick über mögliche Modelle und Bauformen. Grundsätzlich gilt: je nach verwendetem Bike ist die Befestigungssituation vorher genau zu prüfen. Fahre ich ein Fully mit Dämpfer im Rahmen, bin ich mit einer Full-Frame-Tasche nicht gut beraten. Will ich weiterhin möglichst alle Flaschenhalter nutzen, gilt das gleiche. Auch S und M Rahmengrößen stoßen ggf. schnell an ihre Grenzen. Drum prüfe ein jeder bevor er einen Stauraum sich an den Rahmen bindet.

Wie haben wir bewertet? Da die vorliegenden Modelle hinsichtlich ihrer Kapazität und Bauform sehr unterschiedlich sind, finden sich zwar Größenangaben im Testbrief – dies aber ohne Einfluss auf die Bewertung – diese mag jeder für sich ermitteln, was individuell wichtig ist. Neben dem Preis-Leistungsverhältnis beurteilen wir: Wasserdicht oder „nur“ wasserabweisend, Funktion der Materialien und der Reißverschlüsse, Montagfreundlichkeit und Robustheit für den rauhen Einsatz draußen, Wie lässt sich die Tasche beladen, wie halten die Fixierungspunkte? Am Ende steht keine wissenschaftliche Ermittlung, sondern eine praxisnahe Empfehlung der Redaktion.

Grundsätzlich gilt natürlich auch: je größer das geplante Abenteuer, desto mehr Stauraum ist erforderlich, je kürzer der Trip, desto eher geht auch eine minimalistische Lösung. Manche Hersteller bieten daher unterschiedliche Bauformen und Modelle an – die hier vorgestellte Auswahl ist daher ein Indikator für die Vielzahl der verfügbaren Konzepte. In der Infobox haben wir eine weitere Auswahl der bekanntesten Anbieter zusammengestellt.

Apidura

Der englische Ausrüster schickt zwei Taschen ins Rennen. Die Backcountry Full Frame Pack in Größe L (14l). Die Fullframe Pack ist in der Tat eine Rahmenfüllende Tasche, passgenau für den hier verwendeten Velotraum XXL Rahmen. Diese Tasche ist sehr abriebfest und für den Mountainbike Einsatz (Offroad) konzipiert. Das Material verzeiht auch mal eine „Überladung“. Die Frame Bag bietet drei Taschen, eine davon lässt sich über das gesamte Taschenvolumen durch entfernen der Klettleiste vergrößern.

Die Expedition Compact Frame Pack ist die kleinere Variante (5,3l) und soll mehr den Tourenbiker ansprechen. 100% Wasserdicht und in der Passform etwas schlanker und schnittiger gehalten. Auch sie bietet zwei Taschen, einmal von links, einmal von rechts zugreifbar.

Beide Apidura Taschen überzeugen sowohl durch Passform, Montage und vor allem mit ihrer kompromisslosen Performance und erringen daher den Testsieg.

Blackburn 

Der traditionsreiche Anbieter für Outdoor und Bike-Equipment geht mit der Outpost Bag in den Größen L und M ins Rennen. Beide Taschen sind keine Leichtgewichte, überzeugen aber auf Anhieb haptisch. Stabil gebaut und robust im Material. Als einziger im Test bietet die Blackburn auf kleine seitliche Netztaschen, ein sehr praktisches Feature. Im Gegensatz zu den anderen Kandidaten ist die Outpost relativ stabil gehalten und bietet weniger das Gefühl einer weichen Tasche, sondern vielmehr den Komfort einer „Box“ – was keineswegs negativ zu verstehen ist.

Aufgrund des günstigen Preises klarer Preis/Leistungs Tipp. 

Miss Grape

Miss Grape aus Italien ist ein Hersteller, der mit seinem kleinen Sortiment im Markt für Aufsehen sorgt. Stylisch und abgestimmt seine Serie rund um das Thema Bikepacking. Die Miss Grape Frame Pack ist hochwertig und bestens verarbeitet. Der Reißverschluss läuft sehr geschmeidig, hält den Regen aber dennoch zuverlässig draußen. Die Montage geht mittels Klett und der Fixierungsgurte rasch und fummelfrei von der Hand. Auch wenn das etwas „liebliche“ kleine Miss Grape Logo vielleicht vornehmlich die weiblichen Anwender anspricht, gilt: dies Frame Pack kann auch mit dem hartgesottenen Abenteurer auf Reisen gehen. Ein rundes, gelungenes Produkt ohne Schwächen. Verdienter zweiter Platz.

Ortlieb

Der fränkische „Wasserdicht“Spezialist hat das Thema Bikepacking vor 1-2 Jahren neu belebt und geht mit zwei Modellen an den Start (und bietet darüber hinaus eine große Auswahl im Segment).

Die Frame Pack L ist eine Fullsize Rahmentasche mit 6 Liter Volumen. Puristisch in der Ausstattung, effektiv – Ortlieb typisch – im Wasserschutz. Auch optisch gefiel die in der Farbe „Slate“ gehaltene Tasche mit – wie bei allen Ortlieb Bikepacking Taschen – orangem RV (bzw. oranger Applikation). Der Reißverschluss läuft, auch das ist Ortliebtypisch, sehr streng, d.h. ein „kurzes Aufzippen“ während der Fahrt ist nur schwerlich möglich, daher der Punktabzug in der Funktion. Die RV Öffnung jedoch ist groß genug um das Packgut zu verstauen und zu entnehmen. Das Gewicht ist konkurrenzlos niedrig. Die Montage geht gut vonstatten, der passgenaue Sitz ist über jeden Zweifel erhaben, lediglich die mitgelieferten Klettbänder muss man zu Beginn durch die knappen Öffnungen „zwirbeln“.

Der Ortlieb Frame Pack Toptube steht dem „großen Bruder“ nichts nach, außer naturgemäß mit seiner etwas geringeren Kapazität (4Liter). Auch hier ist der etwas straffe Reißverschluss der einzige Kritikpunkt. Die Haptik und Optik, wie bei so vielen Ortlieb Produkten kann jedoch auch hier überzeugen. Die Wasserdichtigkeit ist Ortlieb-like perfekt.

Revelate Design

Die Revelate ist ein amerikanischer Klassiker. Die hier getestete Tasche ist auf den Moonlander von Surly maßgeschneidert und sie überzeugt im rauhen Ganzjahreseinsatz durch ihre große Robustheit. Auch sie bietet, wie Apidura, 2+1 Tasche und kann im Innenleben angepasst werden. Die robusten RV´s laufen reibungsfrei und die Tasche ruft nach Abenteuer – schluckt auch entsprechend was weg. Die Klettverbindungen sind äußerst stabil und zuverlässig und das Material leistet sich keinerlei Schwächen. Die Profis von Revelate haben ihre Hausaufgaben gemacht. Auch der zum Steuerkopf hin sich trapezförmig ausweitende Schnitt zeigt: hier waren nicht nur Schneider am Werk sondern auch Biker. Wermutstropfen bei den Revelate Produkten der hohe Preis und die nicht immer 100%ige Verfügbarkeit auf dem deutschen Markt.

 

VauDe

VauDe setzt im Bereich Nachhaltigkeit Maßstäbe. So auch bei der neuen Bikepacking Linie. Die aus wasserdichtem PVC-freien Material verschweißte Tasche hat erstaunliche 8 Liter Volumen, geht aber in diesem Test noch als „kleine“ Tasche in den Wettbewerb. Die haftstarken gummierten Bänder für die Montage am Oberrohr konnten jedoch wenig begeistern. Sehr streng in der Handhabung sind sie wenig Fingernagel-freundlich, auch die Demontage erfordert entsprechenden, unserer Meinung nach völlig unnötigen, Kraftaufwand. Der kleine Reißverschluss auf der Längsseite ist nicht allzu lang bemessen und auch der Rollverschluss an der Front fällt eher eng aus und begrenzt daher die Zuladung sperriger Gegenstände. Die Tasche hat ein VauDe Green Shape Label und steht daher für ein umweltfreundliches Produkt aus nachhaltigen Materialien. Hinsichtlich Montage und Funktion kann aus unserer Sicht diese sehr leichte Tasche noch optimiert werden. Top: die Farboption in Chute Green.

 

Infobox: Wer liefert Bikepacking-Taschen.

Acepack – http://www.acepac.bike/

Apidura – https://www.apidura.com/

Blackburn – https://www.blackburndesign.com/en_eu/

Gramm – http://www.gramm-tourpacking.com/

Missgrape – http://www.missgrape.net/

Ortlieb – https://www.ortlieb.com/de/

Porclain Rocket – https://porcelainrocket.com/

Revelate Design – http://www.revelatedesigns.com/

SKS – http://www.sks-germany.com/

VauDe – https://www.vaude.com/de/

 

INFOKASTEN – special Udotipp:

Kleiner Insidertipp am Rande. Die Fa. Gramm aus Berlin hat sich auf kundenindividuelle Lösungen spezialisiert. Der Name ist Programm. Wo Gramm draufsteht, darf gewogen werden. Die Taschen sind sehr wertig und in Handarbeit maßgerecht geschneidert. Farbe, Details und Ausstattung können individuell besprochen und abgestimmt werden. Eine fachkundige Beratung und wertvolle Tipps runden das Paket ab.

Gramm aus Berlin. TopSogar die Klettbänder um das Rahmenrohr lassen sich im Nachgang noch individuell kürzen. Da es keine Standard-Rahmentaschen gibt, haben wir Gramm nicht in den Test mit aufgenommen, konnten aber trotzdem ein Modell on Tour testen und waren begeistert. Maßhaltigkeit, Stoffwahl (X-Pac oder Cordura nach Wahl), Farbkombination und Qualität der verwendeten Materialien: Abenteuer Daumen hoch.

*** Erschienen in der BikeAdventure !

© Udo Kewitsch, März.2018

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