Neues Jahr, neues Glück …

Der Gedanke keimte schon ne ganze Weile und entstand seinerzeit auf dem Rad sitzend während der Round the baltic Sea Tour. Auf gehts nach Berlin. Von der Haustüre weg, endlich mal wieder Bikepacken … länger als ein, zwei Overnighter, Material testen, wohl fühlen, den Wettergott anflehen und Strecke machen – wie so oft lege ich die Latte mal wieder (zu) hoch, lasse mich vom Übermut leiten, der mir evtl. im Laufe der Tour noch die Schweißperlen auf die Haut treiben wird – sowhat. Komoot war mir, einmal mehr, behilflich und so hab ich für mich eben einen anspruchsvollen Plan entwickelt, mit Daniel einen feinen Termin vereinbart – aber das ist noch mal eine ganz andere, ganz exklusive Story für sich. Dazu später an auserwählter Stelle mehr.

Weil:

Aus Träumen wird Titan !

Udo, neulich

denn das ist der Arbeitstitel dieser Reise und der Hochglanzname der daraus folgenden Story.

Gefahren wird mit meinem Rennstahl 853, mit Pinion auf Gates Riemen. Ich nehme diesmal die Brooks Fronttaschen und hinten meine Revelate Panniers. Muss reichen.

Der Plan

Komoot Tour !

Wenn das mal keine gute Idee ist, isnt it?

Start ist am 18.05.2023 – in gewohnter Manier werden hier – live from the road – die Erlebnisse der Reise nachzulesen sein & eine klassische Bonus Story am Ende der Reise (s.u.).

Mit dabei, das neue Big Agnes Copper Spur HV UL2 Bikepack, sowie eine Big Agnes Matte und – ganz frisch, warm und pfluffig … ein Schlafsackexperiment –> ich werde den Gruezi Bag Downwool Summer mit ins Zelt nehmen … und bin gespannt, wie Wolle&Daune mich in den Schlaf beamen. Auch hierzu bald mehr.

Die Route

Die Route selbst wird eher anspruchsvoll:

  • Tag1 – Aham – 109km 740hm
  • Tag2 – Furth im Wald – 109km – 780hm
  • Tag3 – Pilsen – 84km – 860hm
  • Tag4 – Chomotov – 109km – 1330hm
  • Tag5 – Dresden – 113km – 1680hm (uff)
  • Tag6 – Lebusa – 99km – 420hm
  • Tag7 – Berlin, Berlin – 96km – 260hm (Schmerz lass nach)

… die Wetterapp meldete neulich am Starttag „Regen“, dann kurz drauf Sonne satt, jetzt aktuell wolkig … wie auch immer, es bleibt in jeder Hinsicht spannend.

ach ja .. und mein Soto ist runderneuert … Udo kocht demnächst (hüstel)

Die Tour

Countdown finished … der Wetterforecast ist durchwachsen aber ganz hinten am Horizont öffnet sich ein Sonnenfenster … gepackt ist nun auch … so wenig wie möglich, so viel wie nötig, als da wären: … sind ein paar neue feine Teile dabei ..

 

Wie so oft, hat allein schon das Zusammensuchen der Sachen, das Abhaken der Packliste, die Komplettierung der „Gewerke“ etwas Meditatives. Vorne rechts befindet sich das Schlafzimmer. Diesmal mit einer sehr klein bauenden BigAgnes Matte und einem Schlafsack von Gruezi Bag, der mit der Kombi aus zertifizierter Daune und Wolle aufwartet. Mein seit 2002 bewährter Seidenschlafanzug ist mit dabei (nunmehr schon in der 4. oder 5.Generation) ebenso das kleine, feine SeatoSummit Kopfkissen, all sowas halt. Bei der Kleidung war ich sparsam. Hinten links sind die Regenklamotten und hinten rechts Warmes und Gutes. In der Rahmentasche ist die Küche. Ortovox hält mich trocken, wobei – mal im Ernst, so ausdauernd wie es in den letzten Wochen gekachelt hat, dürfte Petrus ab heute keinen Tropfen mehr übrig haben. Also, werd ich das Zeug nicht brauchen, sondern nur meine luftigen Shirts von VauDe und in der Merino Version von Gruezi Bag. Genug der „Werbung“ … es geht los. Morgen ist Vatertag – der wiederum war all die letzten Jahre traditionell verregnet. Morgen scheint die Serie zu brechen und ich starte trocken, so Gott will. Ich will es auch. Ich freu mich wie Bolle. Ach ja, das Ziel sagte ich schon, oder? Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin, aber nicht mal eben so nach Berlin, sondern zu keinen geringeren als nach zu Daniel von Wheeldan und Kristin von Gramm Tourpacking. Warum? Das wird sich am Ende Reise herausstellen. Heim gehts dann mit dem Flixbus. Die Bahn kanns einfach nich.

Tag1 – 103km – 742hm – Siegsdorf—> Aham

Die SONNE scheint. Die Tochter bringt mir einen Glücksstein mit, den ich jetzt nach Berlin schleppen soll. Hallo ? Kein Witz. Und ich Depp mach das auch noch ! Nun denn – et is wie et is.

Vatertags bedingt gibt es natürlich noch ein entspanntes Frückstück und entsprechend spät komm ich vom Hof (der Platz für den Stein musste noch gefunden werden).

Tag1 der Tour verläuft vergleichsweise unspektakulär. In dem ein oder anderen Ort gibt es die typischen Bierzelte (die ich allesamt geflissentlich links liegen lasse), Bulldogtreffen hier und Oldtimer Treffen dort, aber nix, was den Vortrieb nachhaltig bremsen würde. Dennoch schleicht sich ab Km60/70 durchaus eine latente Reduktion der Kampfkraft ab. Geschenkt wird einem da nix. Ab Mühldorf gesellen sich ordentliche Wellen dazu und der (obendrein kühle) Gegenwind ab Traunstein ist ja sowieso mein ständiger Begleiter heut. So langsam wurde es dann mühsam.

Gut nur, wenn man Freunde hat. Die Einladung von Rudi & Rosi nehme ich dankend an und erspare mir heut dadurch sowohl Zeltplatzsuche als auch Koch und sonstige Aktionen. Der Stein ist noch da – das muss reichen. Der Abend endet mit guten Gesprächen und die Schenkel sagen Gut hörbar „hier bin ich“. Ich bin gespannt wie das weitergeht.

Tag2 – 120km – 930hm – Aham —> Furth im Wald

Sehr komfortabel im Bett aufwachen zu dürfen und ein Frühstück zu bekommen. Danke Rudi&Rosi.
Heut ist Früh-Start-Tag. Um 9h bin ich auf dem Sattel. Die fehlenden 10km von gestern (laut Plan) kommen heute onTop (zu den 109km). Hilft nix. Auch wenn Rudi mir empfiehlt einen Abzweig eher zu nehmen. Am Ende des Tages sieht es unverändert anstrengend aus.

Bis Straubing geht es gut dahin. Immerhin ist es trocken, aber kühl. Und das stete auf und ab zieht die Körner. In Straubing hab ich rund 50km auf der Uhr, aber noch 70km vor mir. Ey. Finde den Fehler. Zumal der Wind mir ständig ins Gesicht bläst. Allein auf den letzten 25km so vehement auf der Ebene, dass ich nicht über 12km/h hinaus komme. Spaß schreibt man anders.
Ansonsten ist alles wunderbar. Es rollt grad so. Immer wieder jedoch mach ich einen 3min Kurzstopp zum Durchrecken. Es ist nicht so, dass das alles spurlos an einem vorüber geht. Wirklich nicht.

Omg. So viele Eindrücke und Erlebnisse. Der Chamb-Regen-Radweg ist ein Traum, wenn der Wind nicht wäre, wäre es fast nicht zum Aushalten :-).

Tag 3 – 100km – 1087hm – Furth im Wald —> Tlucna

Was für ein Hammer Tag. Fahren, Eindrücke einsaugen, pausieren, sich strecken und recken, fahren, Eindrücke, und wieder von vorn. Krass aber klasse. Heute steht als Zielort Pilsen auf dem Zettel. Wobei die Tage4+5 auch auf dem Zettel stehen und dort mit roter Schrift auf „Gefahr“ hinweisen, in dem Sinne als das da die Latte extrem hochgelegt wurde ! Von wem? Na von wem wohl. Ich bin ja so ein Held jedes Mal beim planen, abends mit nem Bier, denkt man sich am Rechner mit lockerer Mausbewegung „geht ! Geht schon irgendwie“. Dann aber, wenn der Rechner aus, die Maus bewegungslos und das Bike schwer bepackt auf dem geplanten Track nach vorne soll, dann, ja dann lernt man den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Udo Du bist ein Held. Jeden Tag 100km. Hallo.

Tja, und der Track geht eben auch am Tag3 nur eine Richtung: vorwärts. Das Wetter ist freundlich und harmlose Wolken sorgen dafür das es nicht zu heiss wird. Die Streckenführung ist perfekt. Verkehrsarme Nebenstraßen und alle Facetten: Alleen, romantische Dörfer, aussichtsreiche Anstiege und vieles mehr.

Und haste nicht gesehen bist Du in Pilsen. Zack. Geil. War ich on my way to Prag schon mal, aber der Hauptplatz mit seinem mächtigen Dom ist immer wieder beeindruckend. Pause muss sein und ein paar Km muss ich noch als Bonus reinfahren. Aber erstmal ein Bier.

Was soll ich sagen. Ich lerne Dennis & seine Jungs kennen, der gerade auf Vatertags Tour sind und ein Selfie der besonderen Art schiessen. Die Dame vom Nachbartisch scheint Scham nicht zu kennen und amüsiert sich offensichtlich prächtig mit ihren zwei Begleitern. „Meine“ drei Jungs nutzen die Gunst der Stunde und ….. naja, ist ja deren Geschichte. Fakt ist, ich hab sie erwischt und so müssen wir das Bier gemeinsam trinken. Herrlich. Zum Abschluss schiesst Dennis noch ein seriöses Selfie.

So nett die Begegnung. So verlockend die Einladung den Rest des Abends gemeinsam zu begehen. Aber es hilft ja nix, ich brauch noch n paar Bonusmeter. Also weiter im Text.

Nach ca 20km lande ich in Tlunca und der idyllische Weiher frohlockt „Hier! Bleib!“ Das muss er nicht 2x sagen. Eine Bank steht auch am Rand. Perfekt. Vorsichtshalber mal die Nachbarn fragen, ob das auch ok ist. Ist es und ich soll unbedingt später noch zum „Drink“ kommen.
Auch das lass ich mir nicht 2x sagen. Der Abend war klasse trotz aller Sprachbarrieren. So geht reisen.

Tag 4 – 97km – 1200hm (ey) – Tlucna –> Chomotov

uff. Was für ein Abend. Und vielleicht ein Slivo zuviel. Lucia & Camilla kredenzen mir um Punkt 8h Cappuccino und drei Spiegeleier. Der Tag kann kommen. Chomotov – das könnt ich – mit dem Vorsprung von gestern – dann doch schaffen.

Die Strecke zieht sich und ständig folgt auf die kleine Abfahrt ein nicht minder steiler Anstieg. So hatten wir nicht gewettet, so war es aber leider vorhersehbar. Anstrengend allemal. Ab und an studiere ich die MapOut Karte, ob nicht doch ein Buckel zu umfahren wäre. Dort 10-20km vor dem Ziel scheint das Land sehr flach und eben zu sein. Bloß finde ich dort keine einzige Straße. Es sollte sich später zeigen warum. So kumuliere ich weiter fleißig Höhenmeter und nehme mir fest vor, den Planer beim nächsten Mal an diese Momente zu erinnern.

Klar, das dieses riesige Tagebau Gebiet auf der Karte graues Niemandsland ist. Nun denn, nur noch 10km sagt mein Navi. Zehn Km später stehe ich 8km vor (!!) Chomotov und wundere mich das inmitten der Straße nicht der versprochene Campingplatz ist. Ey, du—Planer-Held !!! Hilft nix. Bonusmeilen.

Tag5 – 80km – 1200hm – Chomutov -> Deutscheinsiedel –> Sonnenland (bei Radebeul)

Es ist an der Zeit eine Beichte abzulegen. Der Autor dieser Zeilen wusste es seit Anbeginn. Tag5 ist ein richtig dickes Brett. Über 1700 Höhenmeter auf insgesamt 113 Kilometer. Hallo? Zu meinen guten Alpencross Tagen waren 1700 Höhenmeter mit dem MTB und einem 6kg Rucksack eine „normale“ Maßeinheit … mit meinem ca. 16kg Rennstahl und Gepäck von ungefähr 12–15kg sind eintausendsiebenhundert an einem Tag bei 113 Kilometer nicht nur beschwerlich sondern schlichtweg nicht machbar. Genau dieser Gedanke beschäftigt mich seit ein paar Tagen. Was also tun? Die hübsche Dame am Campground in Chomotov kennt doch bestimmt jemanden, der jemanden kennt, der einen VW Bus hat. Kurz vor dem einschlafen erhielt ich die erlösende Nachricht „Taxi kommt um 9Uhr“. Geht doch.

Acht Uhr morgens. Ich packe, richte meine Siebensachen zusammen und bin Punkt Neun am Tor. Kein VW Bus weit und breit. Da steht doch glatt so ein beschaulicher Skoda und lächelt mich an. Auf meine Frage nach dem Biketräger ernte ich ein verständnisloses „Problem“. Na Bravo.

Lange Rede: Vorderrad raus, Taschen alle wieder runter, Rückbank umklappen und ein wenig nachhelfen. Schon gehts. Der Fahrer is NOT very amused, aber dafür bin ich zahlender Gast auch nicht zuständig. „Einmal zur Grenze, 30 Kilometer und 700 (700!) Höhenmeter weiter bitte“. Nach 40 Minuten sind wir am Ort meiner Wahl und ich habe heute „nur“ noch schlappe 80km to Go. Halbtags Job quasi.
Das tut dem Kopf gut. Zumal sich für heute Abend Besuch angekündigt hat und ich das ohne Taxi Never ever geschafft hätte. Es rollt also dahin. Der ein oder andere steile Stich stört mich nicht, denke doch bei jedem Uphill dankbar an die gesparten Körner.

Die Tage im Sattel sind einer Meditation nicht unähnlich. Ich genieße jeden Meter, kann mir meine Zeit wunderbar einteilen und halte den Schnitt bei über 15km/h. Gelegentlich eine kleine Pause, ein Foto hier, ein Foto dort. Eindrücke aufsaugen, Freiheit spüren, frei sein. Der Himmel ist hellgrau/blau und die Sonne unaufdringlich. Alles im Flow. Herz. Ich rufe laut ein „Jonas, DANKE“ in den Himmel. Glücklich ich bin.

Dresden lass ich im Wortsinn rechts liegen, pedaliere aber ein paar Kilometer auf dem Elberadweg und auf einmal werde ich erst— und gleichzeitig letztmalig Bikereisenden (e)Bikern begegnen. Ich bin euphorisch gut in der Zeit. Um 16h lande ich am Dippelsdorfer Teich — na da wären die 30km/700hm doch noch locker drin gewesen? Nee, nee Du. Ist schon gut. Außerdem hab ich ja die Beichte abgelegt.

Der Abend mit Cindy und Christian ist kurzweilig und wird lediglich von Mückenhorden und fliegenden Ameisen etwas beeinträchtigt. Ich schlafe zufrieden ein. Das Zelt bleibt auch heute ohne schützende Hülle, so lau wie es ist.

 

Tag6 – 100km – 410hm – Dippelsdorfer Teich –> Lebusa

So lau wie es war, so seltsam dann das Gefühl nachts um 3h. Tröpfchen im Gesicht veranlassen mich zur Annahme das da etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Das nahe und nicht zu überhörende Donnergrollen trägt ein Übriges zur Erkenntnisgewinnung bei. Scheisse, es regnet. Nix wie raus. Stirnlampe auf, Überzelt raus, muss ja schnell gehen (nachts um 3h, haha). Irgendwie schaff ich das dann auch und schlüpfe in den Gruezi Bag zurück — jetzt macht der Wolle/Daune Mix Sinn. Es grollt die restliche Nacht ordentlich dahin, aber am Morgen ist die Luft frisch gewaschen und der Regen hat sich verzapft. Wollt ich ihm aber auch geraten haben.

Ich bleibe ungewöhnlich lange liegen und gehe heut etwas später auf die Spur. Tag6 kann kommen. Ich fühl mich gut. Heutiges Ziel ist Lebusa, irgendwo 100km tief im Spreewald. Zunächst aber muss ich durchs Elbe—Elster Land. Waren die Häuser in der CZ größtenteils in einem eher schlechten Zustand verbessert sich das nun ein wenig. Alte Gehöfte wechseln mit neuen, aber uncharismatischen Doppelhaussiedlungen, um dann wieder vom Verfall bedrohten Anwesen abgelöst zu werden. Der Weg entlang der Elster ist ein entspannter Ritt auf der Ebene. Überhaupt: es wird flacher, der Schnitt steigt an. Gleichzeitig hat sich die Sonne mittlerweile gänzlich verabschiedet. Dunkle Wolken ziehen auf. In einem der unzähligen gottverlassenen Waldstücke tauche ich, circa 30km vor dem Ziel noch einmal gerade so untendurch. Doch dann in irgendeinem Kuhdorf, 20km vor dem Ziel ist er da der Sprühregen.

Ich rette mich unter eine alte Eiche. Aus einem alten Hoftor kommt eine dickliche Dame mit Schürze und Kopftuch und auf meine Frage, ob auf den folgenden Kilometern noch irgendwo „aufgetankt“ werden kann, kauderwelscht sie laut scheppernd „Hohenbuckow, Hohenbuckow, ham aber zu und in Lebusa is n Konsum“ was sich aber im Original im etwa so anhört wie „Hohnbuuuuckoooo,Hoohnbuuuuckoooo hammmmmzu uinnnn Leeeebusaaaisnkonsummmm“. Mein Kopf brauchte ein paar Sekunden, die Buchstaben zu trennen und zu begreifen.

Der Konsum in Lebusa ist ein Tante Emma Dorfladen der kleinsten Kategorie. Ich bunkere Getränke und erhasche ein letztes Stück Wurst. Mit meinem letzten Kanten Brot von vorgestern muss das heute wohl reichen. Kneipen gibts hier wohl schon seit Jahren nicht mehr. Was wiederum erklärt, warum gefühlt die gesamt Lesebuische Männerschaft mit der Bierflasche in der Hand unter einem maroden Dach vor dem „Konsum“ sich versammelt hat. Strange.

Ok, Finale für heut. Noch 2km im Regen. Dann sollte ein Campingplatz meine Rettung sein. Zwei Kilometer später ist von Camping keine Spur. Ein kleiner See, immerhin. Aber die zerstörte Telefonzelle, wir „Alten“ kennen diese gelben Dinger noch, ein zwei Meter hohes Tor mit „Warnung vor dem Hunde“ und ein ziemlich ranziger VW Bus mit offener Heckklappe und zwei leeren Hundeboxen vermitteln nur latent den Wunsch nach „hier möchte bleiben“. Was tun. Es rieselt, es ist kalt, ich hab Hunger und 100km auf der Uhr.

Auf einmal geht ein Fenster auf und eine ältere Dame ruft mir die Frage zu „ob ich was suche“. Nach was sieht’s denn aus? Hallo! Weiter die Straße runter sei ein Jugendlager mit dem treffenden Namen „Goldpunkt“, dort könnt ich es ja mal versuchen. Also gut.

Ich finde zwar beim besten Willen nicht den Hauch eines Goldpunktes, aber der Platzwart scheucht mich zumindest nicht vom Hof. Das herunter gekommene Gelände hat wohl seit 1960 kein Update mehr erfahren, aber für 8euro, die man mir in Rechnung stellt kann man ja oooch nisch meckern, wa? Mir wird ein Platz auf einer Wiese zugewiesen und wenn ich duschen möchte, muss ich zwei Duschen gleichzeitig anschalten, weil sonst irgendwas irgendwie nicht funktioniert. Ich hab’s zwar nicht begriffen warum, aber es kam warmes Wasser — mehr wollt ich nicht. Um mich rum eine Rasselbande von 8—10jährigen Kids die mich anglotzen und fragen „was machst Du hier“. Kindermund. Herrlich ehrlich.

Immerhin hat es aufgehört zu regnen. Ich mach mich lang und verarbeite die unzähligen Eindrücke. Morgen ist final day. Wow. Wer hätte das gedacht?

Tag7 – 106km – 250hm. — Lebusa —>> Berlin Berlin

In einem Satz? „Ich bin geradezu geflogen“!! Aber von vorn. Aufstehen, Körperpflege, packen, Routine …. All sowas. Bin motiviert. Bis in die Haarspitzen. Das Höhenprofil ist flach — ich bin spitz auf Berlin. So lange her. Punkt neun Uhr sitz ich im Sattel und die ersten Kilometer zeigen auf, wohin der schnelle Ritt heut gehen wird. Ich flitze geradezu. Wie klasse ist das denn, die Orte huschen vorbei. In einer Bäckerei gibt es einen schnellen Kaffee, hier geht es zu wie im Taubenschlag. Tür auf, Tür zu, mit jedem wird ein Gespräch in aller Freundlichkeit geführt. Gott bewahre uns solche Dörfer.

So mag es nicht verwundern, dass die paar Meter nach Mellensee (Info) wie auf einer Backe locker über die Riemenritzel liefen … surr surr surr … so schnell konntest Du nicht „Fahrradriemenspannung“ sagen, so schnell war ich schon am Ortsschild Berlin – und somit am Ziel meiner Reise. Jetzt nur noch die gefühlt ewig lange gerade durch die Innenstadt direkt aufs Brandenburger Tor zu und dann ein paar Kurbelumdrehungen weiter zum geschichtsträchtigen Reichstag, dessen Kuppel im Hintergrund hervorlugt. Kanzler Scholz wollte mich ebensowenig empfangen, wie der aktuell eher unglücklich agierende Habeck, so blieb ich bei meinen Plänen am Folgetag entscheidungsrelevante Besuche zu tätigen. Auf dem Programm steht „Wheeldan“ und „Gramm“. Ich sag nur: spannend.

Vor dem Reichstag sitzend, dass transportierte Bier vom Vortrag (ein schwarzes Köstritzer, lecker) genießend, lass ich nun erst mal die Endorphine tanzen. Wow. Was für ein Ritt. Sieben Tage lang nur Strecke machen … und das nicht zu knapp. … kumuliert sieht das ganze so aus:

Dat Km Hm Fz Fz
18.05.23 103 720 5:53h 17,5
19.05.23 120 930 7:08h 16,8
20.05.23 99,4 1090 6:26h 15,4
21.05.23 97 1190 6:22h 15,2
22.05.23 79,9 960 4:53h 16,4
23.05.23 100 410 5:48h 17,3
24.05.23 106 250 5:44h 18,5
25.05.23 47,8 80 2:51h 16,7
Summe 753 5630 46:03h
etwas Statistik muss sein

Da sitz ich nun im Gras, um mich rum 1000 Touristen (bin ja selbst auch einer) und freu mich nur. Gesund & munter, keine Pannen, keine Pleiten und schon gar kein Pech (vom Gegenwind und 20km im Regen einmal abgesehen). Wie schön ist das denn? Und – zack peng – hab ichs eben noch genossen (und an manchem Buckel natürlich auch geflucht) schon isses wieder vorbei. Schade eigentlich. Ich könnt ewig so weitermachen. Zurück radeln, wäre ne coole Option …. ein paar Tage dauert es noch bis zu meiner „echten Unabhängigkeit“, aber dann …

Berlin bietet nicht mehr die Weitläufigkeit meiner vorangegangenen Tage und so beginne ich so langsam mir meine Gedanken zur heutigen (und morgigen) Nacht zu machen. Irgendwas mit Zelt wär gut. Der von Mr. Google empfohlene Platz ist telefonisch nicht wirklich erreichbar, also ziele ich mit dem Navi mal in die grobe Richtung … will ich doch am Freitag morgen um 8h meinen Bus halbwegs ohne großen Stress und Vorlauf erwischen. Der Zufall kommt mir zupass, als ich 800m vom ZOB Berlin an einem kleinen, aber feinen Hotel (Hotel Brandies, Kaiserdamm) vorbei radele, nach einem Zimmer frage und sogar noch Glück habe und das letzte EZ für zwei Nächte ergattere. Da wird nicht lang gefackelt. Zelt war gestern. Doppelbett und Minibar ist heute. Darf auch mal. Isnt it?

Tag8 – 50km nur City. Krass – Berlin/Wheeldan & Berlin/Gramm

…mehr an anderer Stelle hier im Blog / Soviel vorweg: Hammer Impressionen- ich bin total geflasht.

 

BONUS Story

… ich hatte mich schon gewundert, dass alles so reibungslos geklappt hat … aber irgendwie bin ich immer wieder für ne spezial Story gut, manchmal gleich am Anfang, manchmal mittig, dieses Mal ganz zu Schluss …

Und das war so. Mein lieber Busfahrer, weder des Deutschen noch des Englischen mächtig, steuert den ersten Stop in Nürnberg an – das war ja von Berlin aus nich ganz sooo schwer. Wir sind super in der Zeit, mit etwas Glück erwische ich den schnellen Zug ab Muc um kurz nach vier. Läuft.

Wie ich jedoch so aus dem Fenster schaue und vergeblich die verbleibenden Kilometer bis München auf den blauen Tafeln ablesen will, sehe ich nur „Regensburg x km, Passau y km“. Da läuft was falsch. Hat mein Bus-Buddy doch glatt die gute Zeit durch einen völlig sinnfreien Umweg wieder kaputt gemacht. Und ich dacht immer, die Bahn kanns nich gut. Aber was willste machen. Sitz ich im Bus und komme eben später an als geplant – dennoch nervt´s mich so, dass ich – 45min verspätet – am ZOB Muc lande, schnell, schnell mich spute, um wenigstens den ersten langsamen Zug zu erwischen. Ich also rauf aufs Rad, alle Taschen anschnallen, Helm auf und durch den total übervölkerten Münchner Hauptbahnhof durch die zielstrebigen Reisenden. Sitz ich sodann schwitzend im Zug, will mich freuen, komme aber nicht dazu, da meine Hüfttasche fehlt. Scheiße. Die liegt im nämlich im Bus – ziemlich dämlich von mir, unten am Boden vom Sitz 1D. Toll, Udo. Also, alles wieder rückwärts, vielleicht hab ich ja Glück und erwische den Flixi noch, obwohl der wahrscheinlich seine Verspätung lieber reinholen will abstatt zu bummeln. Pustekuchen, ich sehe den ZOB und meinen Bus von hinten. Zu spät. Was ich auch sehe, ist obiges Bild, wie mir mein Handydisplay anzeigt, entschwinden sowohl meine EarPods, als auch mein iPad, meine zwei Cameras und mein Geldbeutel samt Cash und Karten und Ausweisen justamomente zügig Richtung Friedrichshafen, es sei denn, der Busdriver macht nen Umweg – wär aber auch egal, zeigt mir meine „wo ist“-App ja zuverlässig an, wo er langfährt. Guter Rat ist teuer. Ich muss nachdenken.

Denken lohnt sich. Lange Rede …. ein Telefonat mit der freundlichen Friedrichshafener Polizei animiert meinen Freund & Helfer doch glatt zu einer Heldentat und Punkt 20h sollte mein Telefon klingeln und mit der Entwarnung „wir haben Ihre Tasche aus dem Bus geholt – Sie können sie gerne abholen“ (haha) für ein Aufatmen sorgen. Meine lieben Herren von der Polizei: Sie haben was gut bei mir !!! Allerherzlichsten Dank.

*** end of story *** Berlin, Berlin war super. Ich würds wieder T*U*N (c) udokah, Mai23 ***